3. Er erklärt jenes Wort des Apostels: „Wir kennen von jetzt an Niemand dem Fleische nach.“
S. 471 „Sonach“, sagt derselbe Apostel, „kennen wir von jetzt an Niemanden dem Fleische nach, und wenn wir Christum dem Fleische nach kannten, so kennen wir ihn jetzt nicht mehr.“ Trefflich stimmen alle Schriften des göttlichen Wortes unter sich überein und in all ihren Theilen; ja selbst wo sie nach dem Scheine der Worte nicht zusammenpassen, sind sie doch einig in der Bedeutung der Sache, wie gerade hierin, daß es heißt: „Und wenn wir Christum dem Fleische nach erkannten, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr;“ denn das Zeugniß des hier stehenden Wortes ist eine Bestätigung des frühern, wo er sagte: „Aus denen Christus ist dem Fleische nach, der da ist Gott über Alles, hochgelobt in Ewigkeit.“ Dort nemlich setzte er: „Aus welchen Christus ist, dem Fleische nach,“ hier aber: „Wenn wir Christum kannten dem Fleische nach;“ dort: „Der da ist Gott über Alles“ — hier aber: „Wir kennen jetzt Christum nicht mehr dem Fleische nach.“ Die Form der Worte ist verschieden, aber die Bedeutung der Sache gleich; denn Ebendenselben, welchen er dort als den im Fleische Geborenen „Gott über Alles“ nennt, kennt er, wie er hier bekräftigt, nun nicht mehr dem Fleische nach; deßhalb nemlich, weil er Ebendenselben, den er als im Fleische Geborenen kannte, als ewigen Gott bekennt, der gerade deßwegen von ihm dem Fleische nach nicht mehr gekannt sei, weil er sei „Gott über Alles, hochgelobt in Ewigkeit“. Darum also sagt er sowohl dort: „Der da ist Gott über Alles“ — als auch hier: „Wir kennen nun Christum nicht mehr dem Fleische nach“ — weil er eben Gott ist, hochgelobt in Ewigkeit. So steigt also die apostolische Lehrpredigt gewissermaßen zu einer höheren Stufe auf, und obwohl sie dem Sinne nach auf beiden mit sich übereinstimmt, so bestätigt sie doch das Geheimniß des vollkommenen Glaubens gleichsam mit deutlicherm Ausspruche, indem sie sagt: „Und wenn wir Christum dem Fleische nach kannten, so kennen wir ihn doch S. 472 jetzt nicht mehr“ — weil wir ihn nemlich früher als Menschen und Gott wußten, jetzt aber nur als Gott; denn da die Schwäche des Fleisches gewichen ist, kennen wir in ihm Nichts mehr als die Kraft der Gottheit; weil Alles in ihm göttliche, majestätische Kraft ist, sobald die Schwäche der menschlichen Unfähigkeit aufhörte. Er hat also durch dieses Zeugniß wirklich das ganze Geheimniß sowohl des angenommenen Fleisches als der vollkommenen Gottheit dargelegt; denn da er sagt: „Und wenn wir Christum dem Fleische nach kannten,“ so hat er das Geheimniß des im Fleische geborenen Gottes besprochen; — wenn er aber beifügt: „Jetzt kennen wir ihn nicht mehr“ — so hat er die Macht der abgelegten Schwäche dargelegt. Und so gehört jene Kenntniß des Fleisches zur Bezeichnung der Menschheit, die Nichtkenntniß aber zur Ehre der Gottheit; denn es will Dieß ja sagen: „Wir kannten Christum dem Fleische nach, so lange er war, was dem Fleische nach erkannt werden kann; jetzt kennen wir ihn nicht mehr, weil er aufgehört hat, Dieß zu sein.“ Die Natur des Fleisches ist ja erhoben worden zu geistiger Wesenheit, und was einst des Menschen war, ist ganz Gottes geworden. Deßhalb kennen wir Christum nicht dem Fleische nach, weil, nachdem durch die göttliche Majestät des Körpers Schwäche verschlungen ist, in dem hl. Leibe Nichts übrig blieb, woraus seine fleischliche Armseligkeit hätte können erkannt werden. So wurde Alles, was vorher von doppelter Natur1 gewesen war, jetzt zu einer Kraft; da durchaus nicht zweifelhaft ist, daß Christus, der gemäß unserer Schwäche gekreuzigt wurde, ganz lebe durch göttliche Majestät.
In diesen und ähnlichen Stellen dieses etwas gar breiten Kapitels will Cassian nicht eine Vermischung der Naturen in Christo lehren, nicht ein substantielles Aufgehen des MenschIichen im Göttlichen, sondern nur eine Verklärung des erstern zum letztern, die volle Offenbarung der hypostatischen Union. ↩
