6. Daß eine Person in Christus sei.
Aber du glaubst vielleicht, daß hierin noch zu wenig Licht sei; nicht weil es zu wenig hell ist, sondern weil die finstere Ungläubigkeit sich immer selbst mitten im Lichte Finsternisse macht. Höre also, wie der Apostel in wenigen Worten dieß ganze Geheimniß der Einheit des Herrn zusammenfaßt und sagt:1 „Ein Herr Jesus Christus, durch welchen Alles ist.“ O guter Jesu, welches Ansehen haben deine Worte! Denn dein ist, was von den Deinen durch dich gesagt wird! Siehe, wie Vieles dieser Ausspruch des Apostels in Wenigem enthält! Er sagt: „Ein Herr Jesus Christus, durch welchen Alles ist.“ Hat er etwa irgend welche Umschweife in den Worten gemacht, um das Dunkel eines solchen Geheimnisses zu predigen, oder hat er Das, was er uns zum Verständnisse bringen wollte, in langer Rede und Abhandlung dargelegt? „Ein Herr,“ sagt er, „Jesus Christus, durch welchen Alles ist.“ So hat er in einfacher und kurzer Rede ein Geheimniß von solcher Majestät gelehrt, voll jenes Vertrauens, in welchem er wußte, daß seine Rede im Amte Gottes nicht langer Beweisführungen bedürfe, und daß die Gottheit seinen Worten Glauben verschaffe. Denn es genügt zur Bestätigung der Worte die Darlegung der Verhältnisse, wenn die Bewährung S. 506 in dem Ansehen des Sprechenden liegt. Also „Ein Herr Jesus Christus,“ sagt er, „durch welchen Alles ist.“ Denke nun nach, wo du das von dem Worte des Vaters gelesen hattest, was du hier von Christus liesest.2 „Alles“, sagt das Evangelium, „ist durch dasselbe gemacht worden, und ohne dasselbe wurde Nichts gemacht.“ Der Apostel sagt: „Durch Christus ist Alles;“ das Evangelium sagt: „Durch das Wort ist Alles.“ Widersprechen sich nun die hl. Aussprüche? Gewiß nicht, sondern es ist Ein- und Derselbe, welchen der Apostel Christus nennt, durch den Alles erschaffen sei, und welchen der Evangelist als das Wort bezeichnet, durch welches Alles gemacht worden sei. Höre, sage ich, was von sich selbst das Wort Gottes verkündet:3 „Niemand“, sagt es, „steigt in den Himmel hinauf, als wer vom Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist.“ Und wieder sagt es:4 „Wenn ihr werdet gesehen haben den Sohn des Menschen hinaufsteigen, wo er früher war.“ Er sagte, daß der Sohn des Menschen im Himmel gewesen sei, und lehrte, daß der Sohn des Menschen vom Himmel herabgestiegen sei. Wie steht es nun? Was zögerst du? Leugne das, wenn du kannst! Aber du verlangst einen Grund für das Gesagte. Ich gebe keinen; denn Gott hat Dieß gesagt, Gott hat es zu mir gesprochen; sein Wort ist der höchste Grund. ich weise zurück die Beweise, ich weise zurück den Streit; es genügt mir zur Gläubigkeit die Person des Sprechenden schon allein. Es ist mir nicht erlaubt, über die Glaubwürdigkeit des Gesagten im Zweifel zu sein; es ist mir nicht erlaubt, zu überlegen. Was soll mir das Nachsuchen, wie Das wahr sei, was Gott gesagt hat, da ich nicht zweifeln darf, daß seine Worte wahr seien? „Niemand“, sagt er, „steigt in den Himmel hinauf, als wer vom Himmel herabstieg, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist.“ Das Wort des Vaters war freilich immer im Himmel; aber wie sagt nun Jener, daß der Sohn des Menschen immer im Himmel gewesen sei? Erkenne S. 507 also, daß er lehrte, der Sohn des Menschen sei Jener, welcher immer der Sohn Gottes war, da er doch sicher bestätigt, daß Jener, welcher vor Kurzem Sohn des Menschen wurde, immer im Himmel gewesen sei. Dazu kommt noch etwas Wichtigeres, daß er nämlich bezeugt, es sei derselbe Sohn des Menschen, nämlich das Wort Gottes, von welchem er das Herabsteigen vom Himmel aussagte, auch da gerade im Himmel, als er auf Erden redete. Denn er sagt: „Niemand steigt in den Himmel, als wer vom Himmel herabkam, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist.“ Wer ist es, ich bitte dich, der Dieses spricht? Sicher Christus. Wo aber war er damals, als er sprach? Nun, auf Erden. Und wie behauptet er nun einerseits, er sei vom Himmel gestiegen, als er geboren wurde, anderseits, er sei im Himmel, als er redete? Und wie sagt er, daß eben Er der Sohn des Menschen sei, da er doch wahrhaftig nur als Gott vom Himmel herabsteigen und nur durch die Unendlichkeit Gottes im Himmel sein konnte, als er auf Erden redete? Merke also doch und verstehe, daß Ebenderselbe Sohn des Menschen ist, welcher das Wort Gottes ist; nemlich Sohn des Menschen, soweit er wahrhaft aus einem Menschen geboren wird, und Wort Gottes, insofern Ebenderselbe, welcher auf Erden redet, immer im Himmel bleibt. So kommt es also von der menschlichen Geburt, daß er sich wahrhaft einen Sohn des Menschen nennt; aber von der göttlichen Unendlichkeit, daß er sich gar nicht vom Himmel entfernt. So lehrt treffend gemäß den göttlichen Worten der Apostel, wenn er sagt:5 „Denn der da herabstieg, ist Jener selbst, der auch hinaufstieg über alle Himmel, um Alles zu erfüllen;“ so daß er von Einem und Demselben das Herabsteigen und Hinaufsteigen aussagt. Aber herabsteigen vom Himmel konnte nur das Wort Gottes. Dieses hat in der That, „als es in der Gestalt Gottes war, sich selbst erniedrigt, die Knechtsgestalt angenommen, ward zum S. 508 Gleichbild der Menschen und im Äussern erfunden als Mensch. Er erniedrigte sich selbst, wurde gehorsam bis zum Tode, und zwar bis zum Tode des Kreuzes.“6 Es stieg also herab vom Himmel das Wort Gottes; es stieg aber hinauf der Sohn des Menschen; von Einem und Demselben aber sagt er das Herabsteigen und Hinaufsteigen aus: also siehst du, daß Ebenderselbe Sohn des Menschen ist, der das Wort Gottes ist.
