[Brief]
Ein jedes tut, was es kann, um durch geistige Unterhaltung uns darüber hinwegzutrösten, daß wir körperlich voneinander getrennt sind. Ihr schickt Geschenke, ich erwidere mit einem Dankesbrief. Dabei nehme ich darauf Bedacht, den Gaben, die ja von Jungfrauen, die S. 50 den Schleier genommen haben, 1 herrühren, eine mystische Bedeutung unterzulegen. Der Bußsack deutet Gebet und Fasten an. Die Sessel weisen darauf hin, daß die Jungfrau ihren Fuß nicht auf die Straße setzen soll. Die Wachskerzen mahnen sie, mit brennendem Lichte die Ankunft des Bräutigams zu erwarten. 2 Die Kelche sind ein Sinnbild der Abtötung des Fleisches und verraten die ständige Bereitschaft zum Martyrium. Deshalb sagt auch die Schrift: „Wie überaus herrlich ist der berauschende Kelch des Herrn!“ 3 Wenn Ihr aber den Matronen Fliegenwedel schenkt, um die kleinen Tierchen zu verscheuchen, so liegt darin eine Aufforderung, alle sinnlichen Regungen zu unterdrücken, weil diese Mücken, die genau wie diese Welt nur eine kurze Lebensdauer haben, den Wohlgeruch des gottgefälligen Lebens zerstören. 4 Das ist die Deutung, welche die Jungfrauen, die bildliche Erklärung, welche die Matronen angeht. Auf mich aber passen Eure Geschenke im schlimmeren Sinne. Das Sitzen kommt dem Müßiggänger zu, auf dem Sacke liegen die Büßer, die Kelche sind für die Zecher. Es mag auch angenehm sein für den, der die nächtlichen Schrecknisse fürchtet 5 und Grauen empfindet vor seinem durch Sünde belasteten Gewissen, wenn er zu seiner Beruhigung Kerzen anzünden kann.
