Erster Artikel. Das Ergötzen ist eine Leidenschaft.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Damascenus (2. de orth. fide 22.) unterscheidet zwischen Thätigkeit und Leidenschaft und sagt: „Die Thätigkeit ist eine Bewegung gemäß der Natur, Leidenschaft ist eine Bewegung gegen die Natur.“ Das Ergötzen aber ist (nach 7 Ethic. 12.) eine Thätigkeit. Also. II. Leiden will heißen: In-Bewegung-gesetzt-sein oder Bewegt-werden, wie es 3 Phys. heißt. Das Ergötzen aber besteht nicht im „Bewegtwerden“, sondern darin daß etwas in Bewegung gewesen ist. Denn das Ergötzen wird verursacht vom bereits besessenen Guten. Also ist Ergötzen keine Leidenschaft. III. Das Ergötzen besteht in einer gewissen Vollendung des sich Er götzenden; denn es vollendet die Thätigkeit, wird 10 Ethic. gesagt. Vollendet werden aber ist nicht „leiden“ oder „verändert werden“, wie 7 Phys. es heißt. Also. Auf der anderen Seite setzt Augustin (10. de civ. Dei 6. et 8.) das Ergötzen unter die anderen Leidenschaften der Seele, nennt sie mit der Trauer etc.
b) Ich antworte, daß die Bewegung des begehrenden Teiles im eigentlichsten Sinne „Leidenschaft“ genannt wird. Nun ist jegliche Hinneigung oder jeder Affekt, der von einer Auffassung der Sinne ausgeht, eine Bewegung im begehrenden Teile. Da also „das Ergötzen (1 Rhet. 11.) eine gewisse Bewegung der Seele ist und zwar eine im sinnlichen Teile und ganz zugleich gebildet nach einer Natur hin, die existiert,“ so ist Ergötzen eine Leidenschaft. Zu dessen Klarstellung möge man erwägen, daß, wie im Bereiche der Natur manche Dinge ihre natürliche Vollendung erreichen, so dies auch bei den sinnlichen Wesen zutrifft. Und obgleich das Bewegtwerden zur Vollendung hin nicht als „ganz zugleich“ bezeichnet werden kann, so ist doch das Erreichen der natürlichen Vollendung „ganz zugleich“. Darin aber besteht der Unterschied zwischen den Dingen der einfachen Natur und den sinnbegabten Wesen, daß die ersteren, wenn sie hineingebildet sind in das, was denselben ihrer Natur nach zukommt, dies nicht empfinden, während die sinnbegabten Wesen dies wohl empfinden. Und aus diesem Empfinden wird eine Bewegung der Seele verursacht im sinnlichen Begehren; und diese Bewegung ist eben das Ergötzen. Daß also gesagt wird, das Ergötzen sei eine „Bewegung der Seele“, dadurch wird die allgemeine „Art“ angegeben. Daß ferner gesagt wird „gebildet nach einer Natur hin, die existiert“; dies giebt die Ursache des Ergötzens an, nämlich die Gegenwart des zukömmlichen natürlichen Gutes. Daß sodann gesagt wird „ganz zugleich“; zeigt an, daß sich hier es nicht um ein „Hineingebildet werden“ handelt, sondern darum, daß die Hineinbildung vollzogen ist; denn das Ergötzen ist nicht, wie Plato will, ein Erzeugen, sondern vielmehr ein Erzeugtsein, wie 7 Ethic. 12, gesagt wird. Daß endlich gesagt wird „im sinnlichen Teile“; dadurch werden ausgeschlossen die Vollkommenheiten der empfindungslosen Dmge, in denen kein Ergötzen existiert. So also ist offenbar, daß das Ergötzen als Bewegung im sinnlichen Begehren, die da nachfolgt dem Auffassen der Sinne, eine Leidenschaft der Seele ist.
c) I. Die Thätigkeit, welche der Natur eines Dinges entspricht, ist, sobald sie nicht gehindert wird, die „zweite“, nämlich die der Natur nachfolgende Vollendung, wie 2. de anima es heißt. Und deshalb folgt, sobald die Dinge in der ihrer Natur entsprechenden, nicht gehinderten, Thätigkeit dastehen, das Ergötzen nach, das da besteht im „Vollendet sein“, nicht im Vollendet-werden. Wird also vom Ergötzen ausgesagt, es sei Thätigkeit, so bezeichnet dies nicht das Wesen des Ergötzens, sondern drückt die Ursache aus, wovon dasselbe sich ableitet. II. Im sinnbegabten Wesen besteht eine doppelte Bewegung: die eine gemäß der auf den Zweck gerichteten Absicht, die in den Bereich des Begehrens gehört; die andere gemäß der Ausführung, die in den Bereich der äußeren Thätigkeit gehört. Nun hört wohl in jenem, der das gewollte Gut erreicht hat, an dem er sich ergötzt, die Bewegung der Ausführung auf, womit er nach dem Zwecke strebte; nicht aber hört auf die Bewegung des begehrenden Teiles, der da, wie er vorher begehrte das nicht besessene Gut, jetzt sich ergötzt am besessenen. Wenn deshalb das Ergötzen eine gewisse Ruhe des Begehrens einschließt, weil ja eben das Begehrte gegenwärtig ist und das Begehren beruhigt, so bleibt doch immerdar noch der verändernde Einfluß des Begehrbaren auf das begehrende Vermögen und mit Rücksicht darauf ist das Ergötzen eine gewisse Bewegung. III. Allerdings wird der Name „Leidenschaft“ mehr gebraucht von denverderblichen Leidenschaften, von Trauer, Furcht; wie „Leiden“ mit Bezug auf die körperlichen Krankheiten gesagt wird. Jedoch haben auch einzelne Leidenschaften die Richtung auf das Gute; und zu diesen gehört das Ergötzen.
