Dritter Artikel. „Freude“ ist nicht gleichbedeutend mit „Ergötzen“.
a) Dies scheint doch der Fall zu sein. Denn: I. Die Leidenschaften unterscheiden sich gemäß den Gegenständen. „Freude“ und „Ergötzen“ aber haben den gleichen Gegenstand. Also ist da kein Unterschied. II. Eine einige Bewegung mündet nicht in zwei Endpunkte. Ein und dieselbe Bewegung aber hat zum Abschlußpunkte die Freude und das Ergötzen. III. Ist die „Freude“ verschieden vom „Ergötzen“; dann auch der „Jubel“, das „Frohlocken“, die „Annehmlichkeit“. Und so werden dies ebenfalls verschiedene Leidenschaften sein, was offenbar falsch ist. Auf der anderen Seite ist nach unserem Sprachgebrauche „Ergötzen“ in den Tieren; nicht aber „Freude“.
b) Ich antworte, daß nach Avicenna (de anima) die Freude eine besondere Gattung des Ergötzens ist. Denn wie es rein natürliche Begierlichkeiten giebt und solche, welche der vernünftigen Auffassung folgen, so ist dies auch mit dem Ergötzen der Fall. Es giebt rein natürliche Ergötzlichkeiten und es giebt solche (Damasc. 2. de orth. fide 13. et 22., Gregor. Nyss. de nat. hom. 18.), welche der Vernunft folgen. Denn wir ergötzen uns in dem, was wir kraft unserer Natur begehren, wenn wir es erreicht haben; wie in Speise und Trank; — und ebenso in dem, was wir gemäß der Vernunft begehren. Aber den Namen „Freude“ hat nur jenes Ergötzen, welches der Vernunft nachfolgt. Also nur „Ergötzen“ schreiben wir den Tieren zu, nicht aber „Freude“. Wir können nun Alles, was wir von Natur aus begehren, auch kraft der Vernunft begehren; aber nicht umgekehrt. Also kann in den vernünftigen Wesen „Freude“ sein über Alles, woran man sich ergötzen kann, wenn auch nicht immer wirklich darüber Freude ist. Denn manchmal empfindet jemand Ergötzen gemäß dem Körper; und gemäß der Vernunft freut er sich nicht. Danach ist offenbar, daß „Ergötzen“ in seiner Bezeichnung sich weiter erstreckt wie „Freude“.
c) I. Da der Gegenstand des Begehrens im sinnbegabten Wesen das Gut als ein erfaßtes ist, so gehört die Verschiedenheit der Auffassung gewissermaßen zur Verschiedenheit des Gegenstandes; und so unterscheiden sich die Ergötzlichkeiten im sinnbegabten Wesen, welche zugleich „Freuden“ genannt werden, von den rein körperlichen Ergötzlichkeiten, welche eben nur als Ergötzlichkeiten zu bezeichnen sind, gemäß der Auffassung; wie dies bereits ähnlich von den Begierlichkeiten gesagt worden. II. Ein ganz ähnlicher Unterschied also findet sich auch in den Begierlichkeiten; so zwar daß die „Ergötzlichkeit“ entspricht der „Begierlichkeit“ und die „Freude“ dem „Verlangen“. So ist also gemäß dem Unterschiede in der betreffenden Bewegung auch der Unterschied in der entsprechenden Ruhe. III. Die anderen Namen, die sich auf das Ergötzen beziehen, kommenvon den verschiedenen Wirkungen des Ergötzens her. Denn „Jubel“ (laetitia) kommt von der Erweiterung des Herzens; — „Frohlocken“ (exsultatio) von den äußeren Zeichen des inneren „Ergötzens“, insoweit die innere Freude sich nach außen hin offenbart; — „Annehmlichkeit“ (jucunditas) wird so genannt von einigen besonderen Zeichen und Wirkungen des „Ergötzens“. Jedoch alle diese Namen scheinen zur Freude zu gehören; nur für vernünftige Wesen nämlich gebrauchen wir sie.
