Erster Artikel. Der Schmerz ist eine Leidenschaft der Seele.
Dem steht entgegen: I. Keine Leidenschaft der Seele ist im Körper. Der Schmerz kann aber im Körper sein. Denn Augustin (de vera relig. 12) sagt: „Der Schmerz, welcher dem Körper angehört, ist ein plötzliches Verderben für das Wohl desjenigen Wesens, das die Seele, weil sie sich desselben schlecht bedient hat, dem Verderben zugänglich gemacht.“ Also ist der Schmerz keine Leidenschaft der Seele. Jede Leidenschaft der Seele ist im Begehrungsvermögen. Der Schmerz aber ist mehr im Auffassungsvermögen; den Augustin sagt (denatura boni 20.): „Den Schmerzim Leibe macht der auffassende Sinn, welcher streitet gegen etwas Körperliches, was mächtiger ist.“ III. Jede Leidenschaft ist im sinnlichen Begehrungsvermögen. Der Schmerz aber gehört vielmehr dem rein natürlichen Begehren an. Denn Augustin sagt (8. sup. Gen. ad litt.): „Wenn nicht irgendwelches Gute in der Natur zurückgeblieben wäre, so könnte es keinen Schmerz der Strafe geben über ein verlorenes Gut.“ Auf der anderen Seite zählt Augustin (14 de civ. Die 8.) den Schmerz unter den Leidenschaften der Seele auf, indem er jenen Vers aus Virgil anführt (Aeneid. 6.): „Hinc metuunt, cupiunt, gaudentque dolentque.“
b) Ich antworte; wie zum Ergötzen zweierlei erfordert ist: die Verbindung mit dem betreffenden Gute und die Wahrnehmung dieser Verbindung; so gehört zum Schmerz zweierlei: Die Verbindung mit einem Übel, d. h. mit einem Mangel an gebührendem Guten und die Wahrnehmung dieses Übels. Was auch immer nun in solcher Weise verbunden wird, kann, wenn es nicht für den betreffenden, mit dem es verbunden erscheint, den Charakter des Guten oder Schlechten hat, nicht Ergötzen oder Schmerz verursachen. Also ist etwas unter dem Gesichtspunkt des Guten oder Schlehten Gegenstand des Ergötzens oder des Schmerzes. „Gut“ oder „schlecht“ in dieser Weise aufgefaßt, sind aber Gegenstand des Begehrens. Also gehört Ergötzen und Schmerz dem Begehren an. Nun gehört aber alle Hinneigung des Begehrens, insoweit sie einer Auffassung folgt, dem vernünftigen oder sinnlichen Begehren an. Denn die rein natürliche Hinneigung folgt nicht der Hinneigung des Auffassens im betreffenden Subjeket, das begehrt; sondern das Auffasssen ist bei dieser Hinneigung in einem anderen. Da also Ergötzen sowohl wie Schmerz in ein und demselben Subjekte Sinn und irgendwelche Auffasung voraussetzen, so ist der Schmerz ebenso wie das Ergötzen im vernünftigen oder sinnlichen Begehren. Jede Bewegung des sinnlichen Begehrens nun heißt Leidenschaft und zumal jene, die einen Mangel, also ein Leiden einschließen. (Kap. 22, Art. 2.) Demgemäß wird der Schmerz, soweit er im sinnlichen Begehren sich findet, im eigentlichsten Sinne „Leidenschaft der Seele“ genannt, sowie die Betrübnisse des Körpers im eigentlichen Sinne als Leiden des Körpers bezeichnet werden.
c) I. Der Schmerz gehört dem Körper an, insoweit die Ursache des Schmerzes im Körper ist, wenn wir nämlich etwas dem Körper Schädliches erleiden. Aber die Bewegung oder die Empfindung des Schmerzes ist immer in der Seele; denn, wie Augustin sagt (12 sup. Gen. ad litt. 24.) „der körper hat keinen Schmerz, wenn die Seele keinen hat.“ II. Der Schmerz wird Empfinden, Fühlen genaant; nicht weil er die Bethätigung einer Sinneskraft wäre, sondern weil das Empfinden erfordert wird, um von einem körperlichen Schmerz spreechen zu können. III. Der Schmerz über ein verlorenes Gut der Natur zeigt an die Güte dieser Natur; nicht weil der Schmerz nur die Thätigkeit einer rein natürlichen Kraft wäre, sonder weil die Natur selber etwas als ein Gut begehrt, und wird nun dessen Entfernung gefühlt, so folgt der Schmerz im sinnlichen Begehren.
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