Vierter Artikel. Über den Gegensatz der einzelnen Trauer zum einzelnen Ergötzen.
a) Es scheint, daß jede Trauer zu jedem Ergötzen in Gegensatz steht. Denn: I. Wie das Weiße und das Schwarze entgegengesetzte Gattungen der Farbe sind, so sind Ergötzen und Trauer einander entgegengesetzte Leidenschaften der Seele. Das Weiße ist aber immerdar und in jedem Falle dem Schwarzen entgegengesetzt. Also ist auch hier der Gegensatz ein ganz allgemeiner. II. Die Heilmittel sind für die gegenteiligen Zustände. Das Ergötzen aber ist das Heilmittel für die Trauer. (7 Ethic. ult.) Also jede Trauer steht entgegen jedem Ergötzen. III. Die zwei Glieder eines Gegensatzes hindern sich gegenseitig. Jede Trauer aber hindert jedes Ergötzen. Auf der anderen Seite verursacht nicht ein und dieselbe Ursache die beiden Glieder eines Gegensatzes. Von ein und demselben Zustande aber geht es aus, daß jemand sich freut über das eine und trauert über das Gegenteil. Denn aus der Liebe kommt es, „sich zu freuen mit den Freudigen, zu trauern mit den Traurigen“, wie der Apostel (Röm. 12.) sagt. Also ist nicht jede Trauer entgegen jedem Ergötzen.
b) Ich antworte mit Aristoteles (10 Metaph.), daß „der Gegensatz zu betrachten ist gemäß dem Unterschiede in der bestimmenden Form.“ Nun ist die Form sowohl eine allgemeinere, wie die der „Art“, z. B. Laster und Tugend, als auch eine besondere, mehr einzelne, wie die der Gattung, z. B. Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Zudem ist zu berücksichtigen, daß manche Dinge ihre Gattung haben gemäß absoluten Formen, die von leiner Voraussetzung abhängen, wie Substanz und Accidens oder Eigenschaft; und andere haben ihre Gattung nur im Vergleiche zu etwas Anderem, Außenbefindlichen, wie die Leidenschaften und Bewegungen von den Gegenständen her. Werden nun die Gattungen betrachtet gemäß den „absoluten“ Formen, die von keiner Beziehung zu etwas Äußerem abhängen, so trifft es sich, daß Gattungen, die entgegengesetzten „Arten“ angehören, nicht einander entgegengesetzt sind gemäß dem unterscheidenden Wesenscharakter der Gattung; es trifft sich aber da nicht, daß sie miteinander verwandt sind oder zu einander in Beziehung stehen. So sind die Unmäßigkeit und die Gerechtigkeit in einander entgegengesetzten „Arten“, in Tugend und Laster; nach der Gattungsform aber sind sie zu einander nicht in Gegensatz und haben da auch keine Beziehung und Verwandtschaft zu einander. Wenn aber die Gattung genommen wird gemäß dem Verhältnisse zu etwas Äußerlichem, so sind da die Gattungen entgegengesetzter „Arten“ nicht nur nicht einander entgegengesetzt, sondern haben Verwandtschaft und Beziehung zu einander. Denn in der nämlichen Weise sich verhalten zu einander entgegengesetzten Dingen schließt Gegensatz in sich ein, wie z. B. der weißen Farbe näher kommen und der schwarzen Farbe näher kommenhat einen Gegensatz in sich. Aber in der entgegengesetzten Weise sich verhalten zu einander entgegengesetzten Dingen, das schließt den Charakter der Ähnlichkeit ein; wie z. B. näher kommen der weißen Farbe und sich entfernen von der schwarzen Farbe. Und das erscheint am meisten im hauptsächlichsten und ersten der Gegensätze, im kontradiktorischen. Denn dieser Gegensatz besteht in der Bejahung einer Behauptung und in der Verneinung dieser selben Behauptung; wie z. B. weiß und nicht weiß. In der Bejahung aber des einen Teiles und in der Verneinung des anderen Teiles im Gegensatze ist Ähnlichkeit und Übereinstimmung begründet; wie schwarz und nicht weiß. Die Trauer und das Ergötzen sind nun Leidenschaften; sie erhalten deshalb ihre Gattung vom Gegenstande aus, also kraft der Beziehung zu etwas Außenbefindlichem. Und zwar haben sie untereinander, wenn die „Art“ in Betracht kommt Gegensatz; denn die eine treibt zum Fliehen, die andere zum Festhalten, was im Bereiche des Begehrens sich verhält wie Bejahung oder Verneinung in der Vernunft nach 6 Ethic. 2. Betreffen also die Trauer und das Ergötzen den nämlichen Gegenstand, so stehen sie der Gattung nach zu einander im Gegensatze. Richten sich aber Trauer und Ergötzen auf Verschiedenes, gegenseitig in keiner Beziehung Stehendes, so besteht gar kein Gegensatz zwischen beiden und auch keine Verwandtschaft oder Beziehung; wie Trauern über den Tod eines Freundes und Sich-Ergötzen an der Betrachtung der Wahrheit. Sind aber die einzelnen Gegenstände, auf welche die Trauer und das Ergötzen sich richten und wovon sie ihre Gattung haben, während das „Gute“ und „Schlechte“ ihnen die allgemeine „Art“ giebt, sind diese Gegenstände einander entgegengesetzt, so ist mit Rücksicht auf die Gattung nicht nur kein Gegensatz da, sondern Verwandtschaft und Beziehung besteht zwischen beiden; wie sich freuen über etwas Gutes und trauern über das entgegengesetzte Böse.
c) I. Die weiße und schwarze Farbe haben ihre Gattung nicht kraft der Beziehung zu etwas Außenbesindlichen, wie Ergötzen und Trauer; sondern sind absolute Formen. Also paßt der Einwurf nicht. II. Die Bezeichnung der „Art“ wird hergenommen vom bestimmbaren Stoffe; und bei den Eigenschaften, den accidentellen Formen, tritt an dessen Stelle das Subjekt, von dem die Eigenschaft getragen, das also von der Eigenschaftsform näher bestimmt wird. Nun ist gesagt, daß, wenn die allgemeine „Art“ in Betracht kommt, die Freude und die Trauer im Gegensatze stehen; und sonach ist bei jeder Trauer die Verfassung des Subjekts, also der trauernden Person, ihre Disposition nämlich, entgegengesetzt der Verfassung des Subjekts, welches freudig ist. Denn bei der Freude verhält sich das Subjekt, also das sinnliche Begehren der betreffenden Person, annehmend, zustimmend; bei der Trauer abweisend, fliehend. Von seiten dieses Subjekts somit, welches die betreffende Leidenschaft trägt, ist jedes Ergötzen ein Heilmittel gegen die Trauer; und jede Trauer hindert jede Freude; zumal noch dazu wenn nach der Gattung ebenfalls das Ergötzen der Trauer entgegensteht. III. Damit ist auf III. zugleich geantwortet. Oder man kann sagen: Gemäß der Gattung ist wohl nicht jede Trauer jeder Freude entgegengesetzt; wohl aber nach der Wirkung. Denn durch die eine wird die sinnbegabte Natur belästigt, durch die andere gestärkt.
