Fünfter Artikel. Der Ergötzung im geistigen Schauen steht keine Trauer entgegen.
a) Das scheint jedoch. Denn: I. Paulus (2. Kor. 7.) sagt: „Die Traurigkeit, welche gemäß Gott sich vollzieht, wirkt die Reue zum ewigen Heile.“ Zu Gott aber emporblicken gehört zum Schauen der höheren Vernunft. Also solchem Ergötzen steht Trauer entgegen. II. Entgegengesetzte Wirkungen haben einander entgegengesetzte Ursachen. Wenn also die Betrachtung des Einen Ursache der Ergötzung ist, so wird die Betrachtung des Gegenteils Trauer verursachen. III. Gegenstand des Ergötzens ist das Gute; Gegenstand der Trauer das Böse. Die Betrachtung der Vernunft kann aber den Charakter des Bösen tragen, wie Aristoteles schreibt (12. Metaph.): „Manches zu betrachten, ist unzulässig.“ IV. Jede Thätigkeit ist nur im Fall daß sie nicht gehindert wird, Grund des Ergötzens. Vielfach kann aber die Betrachtung des Geistes gestört werden. V. Die Trübsal des Fleisches ist Ursache der Trauer. Eccle. ult. aber heißt es: „Häufige Betrachtung ist eine Trübsal für das Fleisch.“ Also dem Ergötzen an der geistig vernünftigen Betrachtung steht entgegen eine Trauer. Auf der anderen Seite sagt Sap. 8.: „Die Gesellschaft der Weisheit bringt keine Bitterkeit mit sich; das Zusammenleben mit ihr verursacht keinen Ekel, sondern Freude und Frohlocken.“
b) Ich antworte, die Ergötzung am geistigen Schauen könne zuvörderst so verstanden werden, daß das geistige Schauen die Ursache der Ergötzung ist und nicht ihr Gegenstand; und dann ist dieses Ergötzen nicht auf die Betrachtung selber als solche gerichtet, sondern es bezieht sich auf die betrachtete oder geschaute Sache. Es trifft sich aber, daß man etwas Schädliches und Verderbliches betrachten kann, ebenso wie etwas Ergötzliches und Zukömmliches. So angesehen also, steht dem nichts entgegen, daß dem Ergötzen am geistigen Schauen eine Trauer gegenüberstehe. Dann aber kann das Ergötzen eine Freude am Betrachten oder geistigen Schauen selber sein, so daß man eben daran Ergötzen finde, daß man betrachtet. Und so steht (nach Gregor Nyss. de nat. hom. 18.) diesem Ergötzen keinerlei Trauer entgegen. Und ebenso drückt sich Aristoteles aus. (10. Ethic. 3.) Dies muß jedoch verstanden werden, soweit das Wesen dieses Schauens selber in Betracht kommt. Der Grund davon ist, daß jede Trauer an und für sich dem Wesen nach entgegensteht dem Ergötzen, welches über den gegenteiligen Gegenstand ist; wie z. B. dem Ergötzen an der Wärme gegenübersteht die Trauer über die Kälte. Dem Gegenstande des geistigen Schauens als reines Schauen aufgefaßt ist aber nichts entgegengesetzt. Die Wesenheiten oder die inneren Seinsgründe der einander entgegengesetzten Dinge nämlich sind nicht mehr im Gegensatze, d. h. schließen sich nicht mehr gegenseitig aus, sobald sie geistig aufgefaßt sind; vielmehr ist da das eine Glied des Gegensatzes der Grund, um das andere zu erkennen. Das Vernunftlose z. B. hilft da, um besser die Vorzüge des Vernünftigenzu würdigen. Danach ist dem Ergötzen, was im Betrachten selber gefunden wird, keinerlei Trauer entgegengesetzt. Aber es hat dieses Betrachten auch keine Trauer nebenbei im Gefolge, insoweit es durch eine solche gehindert würde, wie dies bei den körperlichen Ergötzungen der Fall ist, die da sind wie Heilmittel gegen einzelne Belästigungen; wie z. B. jemand am Trinken sich ergötzt, weil er durch den Durst geängstigt wird, und wenn deshalb der ganze Durst gelöscht ist, hört er auf zu trinken. Denn das Ergötzen am geistigen Schauen wird verursacht nicht als ob dadurch eine Mühseligkeit beseitigt würde, sondern weil es in sich selber ergötzlich ist; es ist nämlich nicht ein Entstehen oder Erzeugen, sondern voll und ganz Thätigsein. Nur mit Rücksicht auf Verhältnisse, welche dem Betrachtenden selber äußerlich sind, per accidens, mischt sich Trauer in das Ergötzen der Auffassung; 1. von seiten des stofflichen Organs; und zwar direkt bei den sinnlichen Auffassungskräften, die in ihrer Thätigkeit an ein stoffliches Organ wesentlich gebunden sind, entweder weil der wahrgenommene Gegenstand eine gegenteilige Zusammensetzung hat wie das betreffende Sinnesorgan, z. B. der bittere Geschmack einer Sache oder der üble Geruch eines Gegenstandes, oder weil der wahrgenommene Gegenstand zu lange fortfährt, einzuwirken, und so das natürliche Verhältnis zum betreffenden Organ überschreitet und anstatt zu ergötzen anekelt; — 2. infolge eines Hindernisses für die Auffassung. Diese Gründe für Beimischung der Trauer zur geistigen Betrachtung bestehen aber nicht auf seiten der Vernunft, die, um thatsächlich zu erkennen, an und für sich eines stofflichen Organs nicht bedarf. Weil jedoch die menschliche Vernunft beim Betrachten die sinnlichen Kräfte gebraucht, in deren Thätigkeit zuweilen Müdigkeit hervortritt, deshalb mischt sich indirekt etwaige Trauer in die Betrachtung. Indes in keiner von beiden Weisen ist diese Trauer, welche nur mit Rücksicht auf Äußerliches sich der Betrachtung beimischt, entgegengesetzt dem Ergötzen an dieser Betrachtung. Denn jene Trauer, welche wegen eines Hindernisses der Betrachtung vorwaltet, ist nicht entgegengesetzt dem Ergötzen der Betrachtung, sondern vielmehr ist sie mit diesem verwandt und in Übereinstimmung. (Vgl. Art. 4.) Die Trauer aber, welche eine Folge körperlicher Ermüdung ist, gehört nicht zur selben „Art“; hat vielmehr mit dem genannten Ergötzen nichts zu schaffen. Keine Trauer also ist dem Ergötzen an der Betrachtung selbst entgegengesetzt; und wenn sich hie und da eine Trauer beimischt, so ist dies per accidens, infolge nebensächlicher, ganz und gar außen liegender Verhältnisse.
c) I. Jene Trauer „gemäß Gott“ richtet sich nicht auf das Betrachten selber, sondern auf den Gegenstand desselben, nämlich auf die Sünde, die der Geist schaut als das Gegenteil des Ergötzens an Gott. II. Was in der Natur zu einander im Gegensatze steht, ist nicht in Gegensatz innerhalb der Vernunft; vielmehr ist da ein Glied des Gegensatzes der Grund für die bessere Kenntnis des anderen. III. Das Betrachten an sich hat nie den Charakter des Schlechten; denn sein Gegenstand ist das Wahre und das Wahre ist ein Gut für die Vernunft. Nebensächlich nur kann da ein Übel bestehen; insofern nämlich die Betrachtung des Niedrigeren hindert die des Erhabeneren, oder weil von seiten des betrachteten Gegenstandes das Begehren in ungeregelter Weise berührt wird. IV. Die Trauer über das Hindernis der Betrachtung steht nicht entgegen dem Ergötzen des Betrachtens; sondern ist mit ihm verwandt. V. Die Mühseligkeit des Fleisches ist für das Betrachten etwas Äußerliches und hat nur indirekte Beziehung zu selbem.
