Erster Artikel. Der Unterschied zwischen den Sünden der Gattung nach richtet sich nach den Gegenständen.
a) Dagegen spricht: I. Der Charakter von „gut“ und „böse“ hängt ab vom Zwecke. Da also die Sünde nichts Anderes ist als ein böser menschlicher Akt, so hängt das Böse und Gute da vom Zwecke ab und nicht von den Gegenständen. II. Da das Übel ein Mangel ist, wird es der Gattung nach unterschieden gemäß dem Gegensatze zu diesem Mangel, also gemäß dem entsprechenden Positiven. Die Sünde aber ist ein Übel im Bereiche des menschlichen Handelns. Also wird sie mehr unterschieden gemäß dem Entgegenstehenden wie gemäß dem Gegenstande. III. Es giebt Sünden, die sich, obgleich der Gattung nach dieselben bleibend, auf verschiedene Gegenstände beziehen. Denn der Stolz bezieht sich auf geistige Güter und auf körperliche, wie Gregor sagt (34. moral. 18.); und auch der Geiz hat verschiedene Gegenstände. Also ist da nicht der Gegenstand die Richtschnur für die Unterscheidung. Auf der anderen Seite ist die Sünde „ein Begehren, ein Wort oder eine That gegen das ewige Gesetz.“ Begehren, Worte, Thaten werden aber der Gattung nach von den Gegenständen her unterschieden, da alle Thätigkeiten die Richtschnur für ihr Unterschiedenschein der Gattung nach vom Gegenstande aus haben. Also liegt im Gegenstande die unterscheidende Richtschnur für die Gattung der Sünden.
b) Ich antworte, zur Sünde gehöre zweierlei: 1. daß sie freiwillig und 2. daß sie ein ungeregelter Akt sei, d. h. vom ewigen Gesetze sich abwende. Von diesen zwei Momenten aber steht das eine im direkten Verhältnisse zum Sünder, der da an und für sich die Absicht hat, einen solchen freiwilligen Akt in der bestimmten Materie zu vollziehen; das andere Moment, nämlich die Abwendung vom Gesetze Gottes, ist nicht beabsichtigt vom Sünder an und für sich, sondern tritt ohne dessen Willen von außen, her, per accidens) zur Sünde hinzu. „Denn niemand wirkt etwas,“ sagt. Dionysius (4. de div. nom.), „indem er das Schlechte beabsichtigt.“ Offenbar aber hat jegliches Ding seine Gattung gemäß dem, was an und für sich, d. h. dem Wesen nach, von ihm selbst aus, in ihm ist und nicht gemäß dem, was von außen her zum Wesen hinzutritt; gemäß dem, was per se in ihm ist und nicht nach dem, was psr accidens in ihm ist. Deshalb werden die Sünden vielmehr unterschieden von der Seite her, daß sie freiwillige Thätigkeiten sind als von der Seite her, daß sie ungeregelte Akte sind. Die freiwilligen Thätigkeiten aber leiten ihren Gattungsunterschied her vom Gegenstande, nach Kap. 18, Art. 2. Also hängt die Gattung des Sündenaktes vom Gegenstande ab.
c) I. Der Zweck hat den Charakter des Guten an erster leitender Stelle; und deshalb steht er zum freiwilligen menschlichen Akte im Verhältnisse des Gegenstandes. Also fällt das hier in eins zusammen: Zweck und Gegenstand. II. Die Sünde ist kein reiner Mangel, sondern ist eine Thätigkeit, welche der gebührenden Regelung entbehrt. Daher werden die Sünden mehr wie die Thätigkeiten oder Akte unterschieden; obgleich, wenn sie auch nach ihrem Gegensatze, den Tugenden, sich unterscheiden würden, dies immer wieder dasselbe bedeuten würde; denn die Tugenden unterscheiden sich ja nach den Gegenständen. III. Jene verschiedenen Gegenstände nehmen alle am nämlichen (formal) bestimmenden Unterscheidungsgrunde teil. Der Stolz sucht in den verschiedenen Dingen z. B. die Auszeichnung; der Geiz den Überfluß in dem, was des Lebens Notdurft bedarf.
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