Vierter Artikel. Die Sünden werden zulässigerweise eingeteilt in Sünden gegen Gott. gegen sich selbst, den Sünder, und gegen die Nächsten.
a) Diese Einteilung ist unzulässig. Denn: I. Aller Sünde ist es gemeinsam, daß sie gegen Gott ist. Also darf dies keinen Unterscheidungsgrund abgeben für eine bestimmte Art Sünde. II. Jede Einteilung geschieht infolge eines Gegensatzes. In der vorgeschlagenen ist aber kein Gegensatz; denn jeder, welcher gegen den Nächsten sündigt, der sündigt gegen sich und gegen Gott. III. Was außen steht, trägt nicht zum Gattungsunterschiede bei. Gott aber und der Nächste sind außerhalb unserer selbst. Auf der anderen Seite sagt Isidorus (de summo bono): „Der Mensch sündigt gegen sich, gegen Gott und gegen den Nächsten.“
b) Ich antworte, alle Sünde sei eine ungeregelte Thätigkeit. Nun besteht 1. im Menschen selber die Regel der Vernunft, wonach seine Leidenschaften und Thätigkeiten bemessen werden sollen; — 2. besteht die Regel des göttlichen Gesetzes, wonach Alles im Menschen sich richten muß. Ferner ist der Mensch noch ein zur Gesellschaft geeignetes sinnliches Wesen. Also ist da noch eine dritte Regel, wonach der Mensch in Allem dem geregelt wird, was seinen Verkehr mit den Nächsten betrifft. Was nun in der Ordnung der Vernunft enthalten ist, das ist auch eingeschlossen in der Ordnung, soweit sie Gott angehört. Manches aber ist in der letzteren enthalten, was die Ordnung der Vernunft übersteigt; wie z. B. das, was den Glauben angeht und nur Gott geschuldet wird. Wer also in diesen sündigt, von dem sagt man, er sündige gegen Gott; wie z. B. der im Glauben Irrende, der Gottesräuber, der Lästerer. Aber die Ordnung der Vernunft enthält wieder ihrerseits in sich die drittgenannte Ordnung und übersteigt dieselbe; denn in Allem, was den Verkehr mit den Nächsten angeht, müssen wir uns regeln nach der Vernunft. In Manchem aber werden wir geregelt nach der Vernunft, nur mit Beziehung auf uns selbst und nicht mit Beziehung auf den Nächsten. Und wird in diesem gesündigt, so sagt man, der Mensch sündige gegen sich selbst, wie der Wollüstige, der Feinschmecker u. dgl. Sündigt er aber wie der Dieb, Mörder etc. in dem, was den Nächsten angeht, so sagt man, er sündige gegen den Nächsten. Verschieden also sind die Beziehungen, wonach der Mensch zu Gott hin bezogen wird, zu sich selbst und zum Nächsten. Demnach ist dieser Unterschied so recht eigentlich gemäß den Gegenständen, denen entsprechend die verschiedenen Gattungen der Sünden gebildet werden. Und demgemäß teilt dieser Unterscheidungsgrund die Sünden in ihre Gattungen; wie ja auch die Tugenden, der Gegensatz zu den Sünden, gemäß dem nämlichen Unterscheidungsgrunde der Gattung gemäß voneinander unterschieden werden. Denn durch die theologischen Tugenden wird der Mensch zu Gott hinbezogen, durch die Mäßigkeit und Stärke zu sich selbst, durch die Gerechtigkeit zum Nächsten.
c) I. Insoweit die Ordnung, welche Gott berücksichtigt, übersteigt die Ordnung der Vernunft und die zum Nächsten hin, ist die Sünde gegen Gott eine besondere Art; nicht insoweit die Ordnung Gottes einschließt alle menschliche Ordnung. II. Wann unter Dingen, von denen eines das andere einschließt, ein Unterschied aufgestellt wird, so existiert letzterer, insoweit sie sich unterscheiden; nicht insoweit das eine vom anderen eingeschlossen wird. Nicht z. B. ist das Dreieck verschieden vom Viereck, insofern es darin enthalten ist; sondern insoweit das Viereck übersteigt das Dreieck. So ist es hier. Das göttliche Gesetz überragt die Richtschnur der Vernunft; und danach ist der Unterschied von Sünden gegen Gott und solchen gegen sich selbst und die Nächsten. III. Gott und der Nächste sind Gegenstände für den sündigen Akt. Und demgemäß sind sie nicht außerhalb des sündigen Aktes, wenn sie auch außerhalb des Menschen sind.
