Fünfter Artikel. Der Unterschied der Sünden rücksichtlich der Schuld.
a) Es scheint, daß die Einteilung der Sünden nach der Schuld, also in läßliche z. B. und schwere, eine Verschiedenheit in der Gattung begründet. Denn: I. Was unendlich weit voneinander absteht, kann weder in der Gattung übereinkommen noch in der „Art“. Die Tod- und läßliche Sünde aber stehen unendlich voneinander ab. Denn der einen gebührt ewige, der anderen zeitliche Strafe; und dem Maße in der Strafe entspricht der Umfang der Schuld nach Deuteron. 25.: „Gemäß dem Maße der Schuld wird sein auch die Art und Weise der Strafen.“ Also gehören die Tod- und läßlichen Sünden nicht zu ein und derselben „Art“, geschweige denn zu ein und derselben Gattung. II. Manche Sünden sind Todsünden ihrer „Art“ nach, wie Mord und Ehebruch; und manche sind läßliche ihrer „Art“ nach, wie überflüssiges Lachen, ein unnützes Wort. Also sind die Tod- und läßlichen Sünden immer der Gattung nach voneinander verschieden. III. Wie sich der tugendhafte Akt zum Lohne verhält, so die Sünde zur Strafe. Der Lohn aber ist der Zweck oder das Ende des tugendhaften Aktes. Also ist die Strafe das Ende oder der Zweck der Sünde. Nun unterscheiden sich die Sünden gemäß dem Zwecke oder dem Ende. Also unterscheiden sie sich auch gemäß der verdienten Strafe. Auf der anderen Seite ist das, wodurch das Gattungswesen gebildet wird, früher wie Gründe, welche in der bereits bestehenden Gattung unterscheiden. Die Strafe aber folgt der Schuld, ist somit später als diese. Also werden die verschiedenen Gattungen der Sünde nicht gebildet durch die Strafe, die sie verdienen.
b) Ich antworte, daß in den Dingen, die der Gattung nach unterschieden sind, ein doppelter Unterscheidungsgrund sich findet: Der eine bildet oder stellt her die Verschiedenheit der Gattungen; und ein solcher Unterscheidungsgrund wird nur in den Gattungen gefunden, insofern sie verschieden sind, wie z. B. das Vernünftige und Unvernünftige, das Belebte und Unbelebte. Der andere Unterscheidungsgrund ist eine Folge der Verschiedenheit in den Gattungen; und ein solcher folgt wohl öfter der Verschiedenheit in der Gattung, kann jedoch auch in der gleichen Gattung gefunden werden, wie z. B. das Weiße und das Schwarze der Gattungsverschiedenheit folgt beim Raben und beim Schwan, jedoch auch in der nämlichen Gattung des Menschen zusammengefunden wird. Die Unterscheidung also zwischen Tod- und läßlicher Sünde, sowie überhaupt jeder Unterschied, welcher aus der Strafe oder der Schuld entnommen wird, kann eine Gattungsverschiedenheit nicht bilden oder herstellen. Denn niemals kann etwas, was zum bestehenden Wesen erst hinzutritt, ein Accidens also, den Wesensunterschied begründen. Was aber außerhalb der Absicht des Wirkenden ist, das ist wie hinzutretend zum Wesen des menschlichen Aktes, wie per accidens, da ja das Wesen einer Thätigkeit durch den Zweck hergestellt wird. Nun ist offenbar die Strafe außerhalb der Absicht dessen, der sündigt; wenn sie auch Beziehung hat zur Sünde von außen her, nämlich seitens der Gerechtigkeit des Richters, der je nach den verschiedenen Verhältnissen der Sünde verschiedene Strafen auflegt. Also kann zuvörderst die Verschiedenheit in den Strafen wohl folgen den verschiedenen Gattungen in der Sünde; aber sie kann keinen Gattungsunterschied in den Sünden herstellen. Nun folgt der Unterschied zwischen der Tod- und der läßlichen Sünde dem Unterschiede in der Regellosigkeit, welche den Charakter der Sünde vollendet. Denn eine doppelte ist diese Regellosigkeit: die eine gründet sich auf das Fernsein des Princips der Ordnung; die andere hält zwar dieses Princip fest, die Regellosigkeit aber bezieht sich auf das, was nach dem Princip kommt. So geht auch im Bereiche des körperlichen Lebens zuweilen die Unordnung bis zur Zerstörung des Lebensprincips; und das ist der Tod; — bisweilen aber bleibt dieses Princip bestehen und die Unordnung bezieht sich bloß auf die Säfte; und das ist Krankheit. Das erste Princip nun im Bereiche des Moralischen ist der letzte Endzweck, der sich zu dem menschlichen Thätigsein verhält wie das erste unbeweisbare Princip zu den theoretischen Schlußfolgerungen. (7 Ethic. 8.) Wann also die Unordnung in der Seele vorschreitet bis zur Abwendung vom letzten Endzwecke, also von Gott, mit dem das Band der Liebe verbindet; dann ist eine Todsünde da. Wann jedoch die Abwendung von Gott nicht erfolgt, sondern zusammen mit der Zuwendung zu Gott eine Unordnung in den niedrigeren Teilen des menschlichen Thätigseins besteht; dann ist dies eine läßliche Sünde. Denn wie im Bereiche des Körperlichen die Unordnung des Todes, also das Abschneiden des Lebensprincips, der ganzen Natur nach unheilbar ist; nicht aber so die mit der Krankheit verbundene Unordnung, wo das Lebensprincip bestehen bleibt; — so verhält es sich auch mit der Seele. Wer nämlich im Wissenschaftlichen rücksichtlich der Principien irrt; der kann nicht überzeugt werden. Wer aber die Wahrheit der Principien festhält, der kann eben vermittelst der Principien von seinem Irrtume zurückkommen. Und wer entsprechenderweise in der Sünde sich abwendet vom letzten Endzwecke, dessen Fall ist, soweit es auf die Natur der Sünde ankommt, unheilbar; und von ihm sagt man, seine Sünde sei eine Todsünde, mit ewiger Pein zu bestrafen. Wer aber sündigt und dabei Gott als dem letzten Endzwecke zugewendet bleibt, dessen Sünde ist, dem Charakter der Sünde selber zufolge, heilbar; denn das erste Princip des moralischen Lebens bleibt gewahrt. Und deshalb ist diese Sünde eine „läßliche“ d. h. eine nachzulassende, weil der Mensch nämlich nicht so sündigt, haß er eine endlose Strafe verdient.
c) I. Die Tod- und die läßliche Sünde unterscheiden sich bis ins Unendliche von seiten der Abwendung (vom letzten Endzwecke), nicht aber von seiten der Zuwendung (zu einem vergänglichen Zwecke). Vermittelst der Zuwendung zu einem Gegenstande als dem Zwecke hat aber die Sünde ihr Gattungswesen. Also steht dem nichts entgegen, daß in ein und derselben Gattung eine Tod- und eine läßliche Sünde sich finde, wie die erste Bewegung im Bereiche der Gattung „Ehebruch“ etwas Läßliches ist; und auch ein unnützes Wort, das ja an sich eine läßliche Sünde ist, kann je nachdem Todsünde sein. II. Daß die eine Sünde ihrer „Art“ nach eine Tod-, die andere eine läßliche Sünde ist ihrer „Art“ nach; daraus folgt, daß ein solcher Unterschied der Gattungsverschiedenheit der Sünden folgt, nicht aber daß er diese verursacht. Ein solcher Unterschied kann sich jedoch auch da finden, wo die Gattung die nämliche ist. (Vgl. oben.) III. Der Lohn geht mit in die Absicht des tugendhaft Handelnden ein. Die Strafe aber thut das nicht, sondern ist vielmehr gegen die Absicht des Sünders. Also ist da kein genügendes Verhältnis.
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