Zweiter Artikel. Die eine Sünde kann Strafe sein für die andere.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Durch die Strafen soll der Mensch zum Gute der Tugend zurückgeführt werden, nach 10 Ethic. cap. ult. Dies geschieht aber nicht durch die Sünde. II. Die gerechten Strafen sind von Gott; nicht aber Sünden. III. Zum Charakter der Strafe gehört es, daß sie gegen den eigenen Willen sei, was bei der Sünde nicht der Fall ist, die ja gerade vom Willen ausgeht. Auf der anderen Seite sagt Gregor (25. moral. 9.): „Gewisse Sünden sind Strafen der Sünde.“
b) Ich antworte, was die Sünde an sich, per se, anbelangt, so könne in keiner Weise die eine Sünde Strafe für die andere sein. Denn an sich, in ihrem Wesen betrachtet, geht die Sünde vom Willen aus und hat aus diesem Grunde den Charakter der Schuld. Zum Wesen der Strafe aber gehört es, gegen den Willen zu sein. Nebenbei aber, unabsichtlich oder per accidens, kann die eine Sünde Strafe sein für die andere: 1. von der Ursache aus, welche das Hindernis entfernt. Denn die Ursachen, welche zur Sünde hinneigen wie die Leidenschaft, die Versuchung des Teufels, werden gehindert in ihrer Einwirkung durch den Beistand der Gnade, die von der Sünde entfernt wird. Da also die Entziehung der Gnade eine Strafe seitens Gottes ist (Kap. 79, Art. 3), so wird auch die aus dieser Entziehung folgende Sünde Strafe genannt. Danach sagt Paulus Röm. 1.: „Deshalb übergab sie Gott in das Verlangen ihrer Herzen,“ also ihrer Leidenschaften; denn Menschen, die von der göttlichen Gnade verlassen sind, werden von ihren Leidenschaften überwunden. Und so nennt man immer die folgende Sünde eine Strafe der vorhergehenden. 2. Von seiten der Substanz des sündigen Aktes, der da Trübsal mit sich bringt, wie beim Zorne oder bei dem Neide, also innerlichen Thätigkeiten, oder wie bei schwerer Mühe, von der man erdrückt wird, und bei Nachteil, äußerlichen Thätigkeiten also; nach Sap. 5.: „Müde sind wir geworden auf dem Wege der Bosheit.“ 3. Von seiten der Wirkung, wie nämlich eine Sünde genannt wird Strafe wegen der Wirkung, die folgt. In diesen beiden letzten Weisen aber ist die eine Sünde nicht nur Strafe der anderen, sondern auch ihre eigene.
c) I. Auch wenn Gott erlaubt, daß einzelne in Sünden fallen, geschieht das zum Besten der Tugend; damit dieselben demütiger und vorsichtiger wieder sich erheben nach der Sünde. Und in jedem Falle dient dies zur Besserung der anderen, die da, wenn sie sehen, daß diese von einer Sünde in die andere stürzen, mehr sich fürchten vor der Sünde. In den beiden letztgenannten Weisen aber dient offenbar die Strafe zur Besserung; denn daß der Mensch Mühe und Trübsal hat im Sündigen, ist geeignet, ihn davon zurückzuziehen. II. Dies betrifft die Sünde an sich, in ihrem Wesen betrachtet. Und ebenso III.
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