Vierter Artikel. Der Umfang der Strafen, welche die Sünde verdient, ist kein unendlicher.
a) Das Gegenteil wird bewiesen. Denn: I. Jerem. 10. heißt es: „Strafe mich, Herr, aber nach Deinem Ratschlüsse; und nicht in Deinem Zorne, daß Du mich nicht in das Nichts zurückwirfst.“ Der Zorn Gottes aber ist der figürliche Ausdruck für die Genugthuung der göttlichen Gerechtigkeit; und „in das Nichts zurückwerfen“ ist ebensoviel wie unendlich strafen, weil aus Nichts etwas machen unendliche Kraft erfordert. Also gemäß der göttlichen Gerechtigkeit verdient die Sünde eine, auch dem Umfange nach, unendliche Strafe. II. Die Sündenschuld Gott gegenüber ist unendlich; denn desto schwerer ist die Sünde, je höher die beleidigte Person steht. Also ist auch der Umfang der Strafe unendlich, nach Deut. 25.: „Gemäß dem Maße der Sünde wird sein das Maß der Strafen.“ III. Die Strafe ist unendlich der Dauer nach, also auch dem Umfange nach. Auf der anderen Seite litten im gesetzten Falle alle Todsünder gleiche Strafen; denn das eine Unendliche ist nicht größer wie das andere.
b) Ich antworte; die Strafe muß im Verhältnisse stehen zur Sünde. Zweierlei aber ist in der Sünde: 1) die Abwendung vom unveränderlichen Gute; und nach dieser Seite hin ist die Sünde unendlich; — 2) die ungeordnete Zuwendung zum veränderlichen Gute; und nach dieser Seite ist die Sünde etwas Endliches, Begrenztes. Denn sowohl das betreffende Gut ist endlich und begrenzt wie auch die Zuwendung selber zu ihm. Von seiten also der Abwendung entspricht der Sünde die Strafe des Verlustes, poena damni, die unendlich ist als Verlust des unendlichen Gutes; — von seiten der Zuwendung entspricht die Strafe der Pein, soweit diese gefühlt wird, poena sensus, die begrenzt ist.
c) I. In das Nichts zurückwerfen den, der sündigt, ist nicht entsprechend der göttlichen Gerechtigkeit; denn es widerstreitet der beständigen Dauer der Strafe, die da ist gemäß der Gerechtigkeit, s. oben. Jener aber wird für ein Nichts erachtet, melcher der geistigen Güter ermangelt, nach Kor. 13.: „Wenn ich keine Liebe habe, bin ich nichts.“ II. Dies wird gesagt von seiten der Abwendung von Gott; denn danach sündigt der Mensch gegen Gott. III. Die Dauer der Strafe entspricht der Dauer der Schuld; nicht zwar von dem Akte der Sünde aus, wohl aber von dem Flecken aus, der andauert. Die Bitterkeit der Strafe entspricht der Schwere der Schuld. Die Schuld nun, die unheilbar ist, hat es von sich aus, daß sie ewig dauert; und deshalb gebührt ihr ewige Strafe. Unendlichkeit aber hat sie nicht von seiten der Zuwendung zum endlichen Gute; und sonach gebührt ihr danach nicht eine dem Umfange nach unendliche Strafe.
