Fünfter Artikel. Nicht eine jede Sünde verdient ewige Strafe.
a) Dies scheint doch der Fall zu sein. Denn: I. Die ewige Strafe ist ohne Ende weit entfernt von der zeitlichen. Keine Sünde aber unterscheidet sich von der anderen ohne Ende; denn jede menschliche Handlung ist begrenzt und endlich. Da also die Strafe entsprechen muß der Sünde und manchen Sünden ewige Strafe geschuldet wird, so folgt, daß jede Sünde ewige Strafe verdient. II. Die Erbsünde ist die geringste aller Sünden; weshalb Augustin (Ench. 93.) sagt: „Die mildeste Strafe gebührt jenen, die mit der bloßen Erbsünde behaftet sterben.“ Der Erbsünde aber gebührt ewige Strafe; denn niemals werden die ungetauften Kinder das Reich Gottes sehen, nach Joh. 3.: „Wer nicht von neuem wiedergeboren ist, kann nicht sehen das Neich Gottes.“ Also jede Sünde wird ewig bestraft. III. Nicht deshalb gebührt einer Sünde ewige Strafe, weil sie mit einer anderen verbunden ist; denn jede von beiden hat ihr von der göttlichen Gerechtigkeit zugemessenes Strafmaß. Nun gebührt der läßlichen Sünde, wenn sie in einem Verdammten zusammen mit der Todsünde gefunden wird, ewige Strafe; denn kein Nachlaß ist in der Sünde. Also jede Sünde verdient ewige Strafe. Auf der anderen Seite sagt Gregor (4. dial. 39.): „Manche leichtere Sünden werden nach diesem Leben verziehen.“
b) Ich antworte, die Sünde verdiene ewige Strafe, insoweit sie in unheilbarer Weise der Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit widerspricht und somit dem Princip selber der Ordnung zuwider ist, das da ist der letzte Endzweck. Offenbar aber ist in manchen Sünden keine Unordnung, die sich auf den letzten Zweck selber richtet und diesem gegenübersteht, sondern nur eine solche, welche auf das Zweckdienliche geht und da in etwa ungebührender Weise sich verhält, dabei jedoch das Princip der Ordnung unberührt läßt; wie wenn jemand z. B. allzusehr an einem zeitlichen Gute hängt, um keinen Preis aber dafür Gott beleidigen und sein Gebot übertreten will. Also gebührt solchen Sünden keine ewige, sondern zeitliche Strafe.
c) I. Die Sünden unterscheiden sich nicht in unendlicher Weise von seiten der Zuwendung zu einem vergänglichen Gute, worin die Substanz des Sündenaktes besteht, wohl aber von seiten der Abwendung von letztem Endzwecke. Denn einige enthalten nur eine Abwendung von dem, was zweckdienlich ist; andere aber enthalten die Abwendung vom letzten Zwecke selber. Dieser aber ist vom Zweckdienlichen unendlich weit entfernt. II. Der Erbsünde ist die ewige Strafe geschuldet nicht auf Grund ihrer Schwere, sondern auf Grund der Lage des Subjekts; nämlich des Menschen, der sich ohne die Gnade findet, vermittelst deren allein die Strafe nachgelassen werden kann. III. Ähnlich zu antworten. Denn die Ewigkeit der Strafe entspricht nicht dem Umfange der Schuld, sondern dem Umstande, daß letztere nicht nachgelassen werden kann.
