Achter Artikel. Nicht wird der eine für die Sünde des anderen bestraft.
a) Dies scheint trotzdem so zu sein. Denn: I. Exod. 20. heißt es: „Ich bin Gott, der Eiferer; und ich suche heim die Missethat der Väter an den Söhnen bis in das dritte und vierte Geschlecht;“ — und Matth. 23. wird gesagt: „Damit über euch komme alles gerechte Blut, das vergossen worden ist auf Erden.“ II. Die menschliche Gerechtigkeit, nach welcher bisweilen, wie bei Majestätsverbrechen, die Kinder für die Eltern bestraft werden, leitet sich ab von der göttlichen. Also wird auch gemäß der letzteren der eine für die Sünde des anderen bestraft. IIl. Sagt man, die Söhne werden bestraft für die Missethat der Väter, weil sie dieselben nachahmen; so gälte das Nämliche mit dem gleichen Rechte für Fremde. Also werden die Kinder nicht für die eigenen, sondern für die Sünden der Eltern bestraft. Auf der anderen Seite steht geschrieben bei Ezechiel 18.: „Der Sohn wird nicht tragen die Missethat des Vaters.“
b) Ich antworte, mit Rücksicht auf die genugthuende Strafe geschehe es wohl, daß der eine die Strafe für die Schuld des anderen trägt; insoweit beide eins sind in der Liebe. Mit Rücksicht auf die Strafe schlechthin oder im eigentlichen Sinne aber wird jeder für die eigene Sünde allein bestraft; denn der Sündenakt ist etwas rein Persönliches. Sprechen wir jedoch von der Strafe, die den Charakter der Medizin, des Heilmittels hat, so trifft es sich, daß der eine für die Schuld des anderen bestraft wird. Denn, wie eben gesagt, ist der Verlust zeitlicher Güter hingeordnet zum Heile der Seele. Und so steht dem nichts entgegen, daß, sei es von Gott sei es von den Menschen, die Söhne bestraft werden für die Eltern, die Unterthanen für die Fürsten; insoweit die Söhne und die Unterthanen gewissermaßen den Vätern oder den Fürsten als ein Gut zugehören. Ist nun der Sohn oder der Unterthan mit teilhaft der Schuld, so hat ein solches Übel den Charakter der Strafe nach beiden Seiten hin; nämlich für den, der bestraft wird, und für jenen, anstatt dessen er bestraft wird. Nimmt er aber an der Schuld nicht teil, so ist die Strafe wirklich Strafe für denjenigen, anstatt dessen er gestraft wird; und für ihn selber ist sie eine Medizin, ein Heilmittel, um geistige Güter zu erlangen, wenn er nämlich geduldig die Strafe erträgt. Geistige, auf die Seele bezügliche Strafen aber sind nie Heilmittel; denn diese können auf ein besseres Gut nicht hinbezogen werden. In diesen Gütern also leidet jemand nur Schaden für seine eigene Schuld. Einer wird da nicht für den anderen bestraft. Denn mit Rücksicht auf die Seele ist niemand dem anderen zugehörig; jeder ist da selbständig: „Alle Seelen sind mein,“ sagt der Herr bei Ezechiel 18.
c) I. Wird Beides auf die zeitlichen Strafen bezogen, so gilt es, insoweit die Kinder den Eltern und die Nachkommen den Voreltern zugehören. Wird Beides auf geistige Strafen bezogen, so gilt es, inwieweit die Kinder die Schuld der Eltern nachahmen. Deshalb wird im Exo. hinzugefügt „bei denen, die mich hassen;“ und Matth. 23. steht: „Ihr füllt an das Maß euerer Väter.“ Die Kinder aber sind geeigneter, die Sünden der Eltern nachzuahmen: 1. wegen der Gewohnheit, sie zu sehen; 2. wegen der Autorität und dem Beispiele der Väter. Und deshalb sind sie strafwürdiger, wenn sie die Strafen der Voreltern sehen und trotzdem sich nicht bessern. Demgemäß wird gesagt: „in die dritte und vierte;“ denn soweit nur pflegen höchstens die Menschen zu leben, daß sie das dritte oder vierte Geschlecht sehen, so daß die Kinder sehen können die Sünden der Eltern, um sie nachzuahmen, und die Väter die Strafen der Kinder, um über ihre Sünden Schmerz zu erwecken. II. Alle jene Strafen von seiten der menschlichen Gerechtigkeit sind Heilmittel gegen die folgenden Sünden, damit entweder die da sündigen selber gestraft werden oder die anderen vor ähnlicher Schuld sich hüten. III. Ist in I. beantwortet.
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