Sechster Artikel. Der Haß entsteht aus dem Neide.
a) Dies ist falsch. Denn: I. Der Neid ist „eine Trauer über fremdes Glück.“ Der Haß aber kommt nicht von der Trauer; sondern umgekehrt. Wir trauern, weil jene Übel gegenwärtig sind, die wir hassen. II. Der Haß steht entgegen der Liebe. Die Liebe des Nächsten aber wird bezogen auf die Liebe Gottes. Also auch der Haß des Nächsten hat seinen maßgebenden Grund im Hasse Gottes. Der letztere aber kann nicht vom Neide kommen; denn man beneidet nur jene, die einem nahe stehen. (2 Rhet. 10.) III. „Der Haß nimmt zu auf Grund des Zornes,“ heißt es in der Regel Augustins. Also kommt er nicht vom Neide. Auf der anderen Seite sagt Gregor (31. moral. 17.): „Aus dem Neide kommt der Haß.“
b) Ich antworte, der Haß sei im Fortschreiten der Sünde das Letzte; denn er steht entgegen der Liebe, kraft deren von Natur aus der Nächste geliebt wird. Daß aber jemand von dem, was der Natur entspricht, abweicht, kommt daher daß er vermeiden will etwas, was von Natur aus zu fliehen ist. Naturgemäß nun flieht jedes sinnbegabte Wesen die Trauer und begehrt nach Ergötzen. Also vom Ergötzen wird die Liebe verursacht, von der Trauer der Haß. Denn wie wir uns hinneigen, um zu lieben was ergötzt, insoweit es als etwas Gutes aufgefaßt wird; so neigen wir uns hin, zu hassen was Trauer bringt, insoweit es als ein Übel aufgefaßt wird. Da also der Neid eine Trauer ist über das Gute, was der Nächste hat, so folgt, daß dieses Gute uns hassenswert erscheint; und danach entsteht aus dem Neide Haß.
c) I. Weil die begehrende Kraft gleichwie die auffassende zu ihrem eigenen Thätigsein zurückkehrt, so folgt daraus ein gewisser Kreislauf im Begehren. Nach dem ersten Vorangehen des Begehrens also folgt aus der Liebe das Verlangen; und daraus folgt das Ergötzen, wenn man das Ersehnte erreicht hat. Und weil nun das Ergötzen im geliebten Gute wieder den Charakter des Guten trägt, so folgt aus dem Ergötzen von neuem Liebe. Und ebenso verursacht die Trauer den Haß. II. Der Liebe Gegenstand ist das Gute, was von Gott den Kreaturen mitgeteilt worden; also ist da die Liebe zuerst auf Gott gerichtet und erst auf Grund dessen auf den Nächsten. Der Haß aber richtet sich nicht auf Gott, sondern auf dessen Wirkungen; denn in Gott ist kein Übel. Also ist zuerst der Haß auf den Nächsten gerichtet und erst auf Grund dessen auf Gott. Da also der Neid die Quelle des Hasses ist, welcher auf den Nächsten zielt, so ist er folgegemäß auch die Ursache des Hasses gegen Gott. III. Unter verschiedenen Gesichtspunkten kann etwas aus verschiedenen Ursachen herrühren. Und so kann auch der Haß vom Neide und vom Zorne kommen. Unmittelbarer aber stammt er aus dem Neide, welcher das Gute selbst im Nächsten zum Gegenstande der Trauer macht und deshalb hassenswert. Durch den fortgesetzten Zorn wird eher der Haß vermehrt. Denn der Zorn begehrt das Übel des Nächsten zuvörderst nach einem gewissen Maße, insoweit dieses den Charakter der Wiedervergeltung hat; und dauert dann der Zorn an, so gelangt der Mensch dazu, dem betreffenden überhaupt das Übel zu wünschen, was Haß ist. Der Neid also stellt den Gegenstand des Hasses her; der Zorn bereitet das Subjekt zum Hasse mehr vor. Nun betrachten wir die Laster, welche der Freude, die der Liebe innewohnt, entgegengesetzt sind: Der Freude am göttlichen Gute steht entgegen die geistige Trauer, der Freude am Guten im Nächsten steht entgegen der Neid.
