Erster Artikel. Die Weisheit ist als eine Gabe des heiligen Geistes zu betrachten.
a) Dem widerspricht: I. Die Gaben des heiligen Geistes sind vollkommener wie die Tugenden. Die Tugend aber hat nur zum Guten wie zu ihrem Gegenstande und zu ihrem Endzwecke Beziehung; weshalb Augustin sagt (2. de lib. arbitr. 19.), „niemand bediene sich der Tugenden schlecht.“ Also um so mehr müssen die Gaben des heiligen Geistes nur zum Guten in Beziehung stehen. Die Weisheit kann aber auch schlecht sein, nach Jak. 3.: „Eine gewisse Weisheit ist irdisch, sinnlich, teuflisch.“ Also ist die Weisheit keine Gabe des heiligen Geistes. II. Nach Augustin (12. de Trin. 14.) „ist die Weisheit eine Kenntnis der göttlichen Dinge.“ Nun gehört eine solche Kenntnis, wie die natürliche Vernunft sie haben kann, zu jener Weisheit, die da eine Tugend in der Vernunft ist. Die übernatürliche Kenntnis der göttlichen Dinge aber gehört dem Glauben an. Also ist die Weisheit mehr Tugend wie Gabe des heiligen Geistes. III. Job 28. heißt es: „Siehe die Furcht des Herrn“ oder nach den siebenzig, gemäß denen Augustin citiert „die Hingebung, sie ist die Weisheit; und vom Bösen sich fernhalten, das ist Verständnis.“ Sowohl aber die Furcht wie auch die Hingebung, der timor wie die pietas, sind Gaben des heiligen Geistes. Also ist die Weisheit davon nicht unterschieden und darf nicht als eine besondere Gabe aufgezählt werden. Auf der anderen Seite heißt es bei Isai. 11.: „Und es wird ruhen auf ihm der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit etc.“
b) Ich antworte, „dem Weisen gehöre es an, die höchste Ursache zu betrachten und vermittelst derselben über das Andere zu urteilen und Alles zu ordnen;“ sagt Aristoteles im Anfange der Metaphysik. Jener also, der die höchste Ursache in einem gewissen Seinsbereiche kennt und gemäß derselben innerhalb dieser Seinsart Alles beurteilen und regeln kann, der wird weise genannt in jenem bestimmt abgegrenzten Seinsbereiche; wie z. B. in der Medizin oder in der Baukunde. Jener aber, der die schlechthin und allseitig höchste Ursache betrachtet, nämlich Gott den Urgrund des All, ist schlechthin weise und urteilt und ordnet in Allem gemäß den göttlichen Regeln. Derartiges Urteil nun erreicht der Mensch durch den heiligen Geist, nach 1. Kor. 2.: „Der Geistige urteilt über Alles;“ denn „der Geist durchforscht Alles, auch die Tiefen der Gottheit.“ Also ist offenbar die Weisheit eine Gabe des heiligen Geistes.
c) I. Gut wird genannt etwas entweder schlechthin als wahrhaft und vollkommen gut; oder gemäß einer gewissen Ähnlichkeit, insofern etwas in der Schlechtigkeit vollkommen ist; und so spricht man von einem guten, vollendeten Räuber. (5 Metaph.) Und sowie in dem Bereiche des wahrhaft Guten eine höchste Ursache besteht, das höchste Gut oder der letzte Endzweck, wegen dessen Kenntnis jemand in Wahrheit weise ist; — so ist auch im Bereiche des Schlechten immer etwas, worauf das Übrige wie auf seinen letzten Endzweck Beziehung hat, durch dessen Kenntnis jemand weise wird, um schlecht zu handeln, nach Jerem. 4.: „Weise sind sie, damit sie schlecht handeln; und gut zu handeln wußten sie nicht.“ Wer nun vom gebührenden Zwecke sich abwendet, der muß sich einem ungebührenden zuwenden; denn jeder, welcher wirkt, nimmt sich einen Zweck vor. Wer also seinen Zweck sich vornimmt in den irdischen Gütern, der hat „irdische Weisheit;“ dessen Zweck die sinnlichen Freuden bilden, der hat „sinnliche Weisheit;“ wer aber im Vorrange vor anderen seinen Zweck sieht, der hat „teuflische Weisheit,“ denn „der Teufel ist der König aller Kinder des Stolzes.“ (Job 41.) II. Die Weisheit als Gabe des heiligen Geistes „kommt von oben“ (Jakob. 3, 14.); die Weisheit als Tugend in der Vernunft ist durch menschliche Mühe erworben. Ähnlich ist der Glaube verschieden von der Weisheit als Gabe des heiligen Geistes. Denn jener stimmt der göttlichen Wahrheit an und für sich zu; das Urteil aber, welches gemäß der göttlichen Wahrheit gefällt wird, gehört dieser, der Gabe der heiligen Weisheit, an. Die Weisheit also setzt den Glauben voraus; „denn jeder urteilt nur darüber gut, was er kennt.“ (1. Ethik.) III. Wie die Hingebung oder Frömmigkeit, welche auf die Gottesverehrung sich bezieht, den Glauben offenbar macht, denn kraft der Gottesverehrung bekennen wir den Glauben; so offenbart diese Hingebung oder Frömmigkeit auch die Weisheit. Ebenso wird dadurch daß jemand Gott fürchtet gezeigt, daß er weise ist.
