Erster Artikel. Die Unklugheit ist eine Sünde.
a) Es ist da von Sünde nicht die Rede. Denn: I. „Jede Sünde ist etwas Freiwilliges.“ (Aug. de vera relig. 14.) Die Unklugheit aber ist das nicht; niemand nämlich will unklug sein. II. Nur die Erbsünde wird mit dem Menschen geboren. Die Unklugheit aber begleitet die Geburt des Menschen, weshalb ja die jungen Leute unklug sind. Also, da die Unklugheit nicht die Erbsünde ist, kann sie überhaupt keine Sünde sein. III. Jede Sünde wird durch die Reue getilgt; was bei der Unklugheit nicht statthat. Auf der anderen Seite verschwindet der geistige Schatz der Gnade nur infolge einer Sünde. Er verschwindet aber infolge der Unklugheit, nach Prov. 21.: „Ein begehrenswerter Schatz und Öl in der Wohnung des Gerechten; und der unkluge Mensch wird dies zu Grunde richten.“
b) Ich antworte, die Unklugheit als bloße Verneinung der Klugheit, also negativ, besage nur, daß die Klugheit nicht vorhanden ist; und dies kann ohne Sünde sein. Als Mangel an Klugheit (also privativ) besagt sie, daß jene Klugheit nicht vorhanden sei, welche man haben könnte und müßte; und so ist die Unklugheit Sünde auf Grund der Nachlässigkeit, die jemand besitzt, oder weil er sich nicht bemüht, Klugheit zu haben. Als konträrer Gegensatz zur Klugheit aber besagt die Unklugheit, daß man in gegenteiliger Weise thätig ist wie die Klugheit; wie z. B. wenn die Klugheit gebietet, sich zu beraten, der unkluge den Rat verachtet. Und so weicht der Mensch positiv ab von der rechten Richtschnur der Klugheit, als einer Tugend; sündigt also. Weicht er nun von den Recheln der göttlichen Weisheit ab, indem er mit Verachtung die göttlichen Gebote verschmäht, so ist dies Todsünde. Weicht aber der unkluge von den göttlichen Geboten ab ohne Verachtung und ohne Schaden rücksichtlich des zum Heile Notwendigen, so ist es läßliche Sünde.
c) I. Das Häßliche der Unklugheit will niemand; aber den unklugen Akt will der unkluge setzen. II. Das Nichtvorhandensein der Klugheit im rein negativen Sinne ist eingeschlossen im Nichtvorhandensein der Ungerechtigkeit; und danach lassen sich alle jene Mängel auf die Erbsünde zurückführen. III. Durch die Reue wird die eingegossene Klugheit wiedererstattet; und somit hört das Nichtvorhandensein der entsprechenden Unklugheit auf. Die erworbene Klugheit wird mit Rücksicht auf den inneren Zustand nicht wiedergegeben; aber die der Klugheit konträr entgegengesetzte Thätigkeit hört auf und in letzterer besteht vorzugsweise die Sünde der Unklugheit.
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