Zweiter Artikel. Das erste Gebot ist durchaus zulässigerweise ausgedrückt.
a) Dem steht entgegen: I. Gott ist jeder Mensch in höherem Grade und früher verpflichtet wie dem irdischen Vater, nach Hebr. 12.: „Um wie viel mehr sollen wir dem Vater der Geister gehorchen und leben?“ Nun steht das vierte Gebot in afftrmativer Form: „Du sollst Vater und Mutter ehren.“ Also mußte auch das erste Gebot die affirmative Form haben; zumal das Behaupten oder die Affirmation der Natur nach früher ist wie die Verneinung oder Negation. II. Das erste Gebot gehört zur Tugend der Religion, die als einige Tugend nur eine Thätigkeit hat. Im ersten Gebote aber werden drei Thätigkeiten verboten: 1. „Du sollst keine fremden Götter neben mir haben;“ 2. „du sollst dir kein geschnitztes Bild machen;“ 3. „du sollst solche Bilder nicht anbeten oder verehren.“ Also paßt das nicht. III. „Durch das erste Gebot wird das Laster des Aberglaubens ausgeschlossen,“ sagt Augustin, (de 10 cordis 9.) Noch viele andere Arten Aberglauben aber giebt es außer dem Götzendienste. Also wird unzulässigerweise dieser allein durch den Wortlaut verboten. Auf der anderen Seite steht die Autorität der heiligen Schrift.
b) Ich antworte, das Gesetz solle die Menschen zu guten machen; und deshalb müsse man die Vorschriften desselben in jener Ordnung vorlegen, wie sie ein solches Entstehen überhaupt bedingt, wonach der Mensch zu einem guten wird. Nun wird bei jedem Entstehen oder beim Herrichten einer Sache zuvörderst der erste Teil zuerst hergestellt; wie z. B. bei der Erzeugung eines sinnbegabten Wesens zuerst das Herz entsteht, bei einem Hause zuerst das Fundament gelegt wird. Und so ist bei der Güte der Seele das Erste der gute Wille; denn kraft des guten Willens wendet der Mensch alles andere Gute gebührend und gut an. Die Güte des Willens nun hängt vom Gegenstande ab, nämlich vom Zwecke. Also mußte bei demjenigen, der durch das Gesetz gut gemacht werden sollte, gleichsam ein Fundament gelegt werden; nämlich das der Tugend der Religion, wodurch der Mensch gebührend geregelt wird zu Gott hin, dem letzten Endzwecke des menschlichen Willens. Ferner müssen beim Entstehen oder Herrichten von etwas vor Allem die Hindernisse entfernt werden; wie der Landmann den Acker zuerst von Steinen reinigt und dann den Samen hineinwirft, nach Jerem. 4.: „Wetzet euch das Messer und säet nicht auf Dornen.“ Also mußte bei der Tugend der Gottesverehrung oder Religion zuvörderst das Hindernis der wahren Gottesverehrung entfernt werden. Dieses aber besteht in erster Linie darin, daß der Mensch einem falschen Gott anhängt, nach Matth. 6.: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Und danach wird im ersten Gebote der Kult falscher Götter ausgeschlossen.
c) I. Auch unter den drei ersten Geboten, welche alle drei die Tugend der Religion betreffen, findet sich ein affirmatives, nämlich das dritte: „Gedenke, daß du den Sabbath heiligest.“ Zuerst aber mußten, wie das die Ordnung des Entstehens mitsichbringt, die Hindernisse entfernt werden. Denn der Natur nach ist zwar das Behaupten früher wie das Verneinen; aber nicht beim Entstehen oder Herrichten von etwas. Da ist das Entfernen der Hindernisse das Erste; — und zumal wenn es sich um Gott und göttliche Dinge handelt, wo Verneinungen, wo das Entfernen des Unvollkommenen also vorgezogen wird den positiven Beziehungen; nämlich wegen unserer Schwäche und Ohnmacht, (Dionys. 2. coel. hier.) II. Manche verehrten Kreaturen als Gott ohne Bilder, wie Varro den alten Römern erzählt; dieser Kult wird mit den ersten Worten verboten. Bei anderen waren falsche Götter verehrt unter gewissen Bildern; und dies wird durch den zweiten Absatz verboten; endlich soll man die Bilder selbst nicht ehren. III. Aller andere Aberglaube kommt von einem stillschweigenden oder ausdrücklichen Übereinkommen mit dem Teufel; er ist also eingeschlossen im Verbote: „Du sollst keine fremden Götter haben.“
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