Vierter Artikel. Die Zulässigkeit der Ausdrücke im dritten Gebote.
a) Dieses Gebot wird nicht in zulässiger Weise gelehrt. Denn: I. Es ist dieses Gebot dem geistigen Verständnisse nach ein allgemeines, d. h. alle Tugenden umfassendes. Zu Luk. 13. sagt Beda nämlich (4. in Luc. c. 13.): „Das Gesetz verbietet nicht, am Sabbathe den Menschen zu heilen; sondern es verbietet die knechtischen Werke d. h. die Belastung mit Sünden.“ Dem wörtlichen Verständnisse aber nach ist das dritte Gebot ein Ceremonialgebot. Denn Exod. 31. steht: „Sehet darauf, daß ihr meinen Sabbath behütet, weil er ein Zeichen ist zwischen mir und euch in eueren Geschlechtern.“ Die zehn Gebote aber sind geistige Gebote und moralische, nicht allgemeine. Also wird das dritte Gebot unzulässigerweise da hingesetzt. II. Die Ceremonialvorschriften betreffen die heiligen Sachen, die Opfer, die Sakramente, die Gebräuche. Zu den heiligen Sachen aber gehören nicht nur die heiligen Tage, sondern auch die heiligen Orte, Gefäße u. dgl. Und ebenso gab es noch viele andere heilige Tage außer dem Sabbath. Also unzulässigerweise wird allein die Beobachtung des Sabbaths erwähnt. III. Wer eines der zehn Gebote übertritt, sündigt. Im Alten Testamente aber haben manche die Sabbathe nicht beobachtet und trotzdem nicht gesündigt; — so z. B. jene, welche am achten Tage die Knaben beschnitten; die Priester, welche an den Sabbathen im Tempel wirkten; Elias, der nach 3. Kön. 19. durch vierzig Tage hindurch, also auch am Sabbathe, marschierte, um zum Berge Horeb zu gelangen; die Priester, welche durch sieben Tage hindurch die Arche des Herrn trugen (Josue 6.); endlich wird Luk. 13. gesagt: „Bindet nicht jeder von euch am Sabbathe seinen Ochsen oder seinen Esel los und führt ihn zur Tränke.“ Also besteht dieses Gebot im Dekalog unzulässigerweise. IV. Die zehn Gebote bleiben auch im Neuen Bunde verpflichtend. Aber im Neuen Bunde bleibt dieses Gebot nicht, schon mit Rücksicht auf den Tag; und zudem wird selbst am Sonntage gekocht, gereist, gefischt etc. Auf der anderen Seite steht die heilige Schrift.
b) Ich antworte, nach Entfernung der Hindernisse durch die ersten zwei Gebote werden jetzt die Menschen in der wahren Gottesverehrung festgegründet. Dazugehört: Gott den gebührenden Kult darbringen. Wie aber in der Schrift die innere Anbetung Gottes unter Benutzung der Ähnlichkeiten körperlicher Dinge gelehrt wird, so knüpft der äußere Kult an ein äußeres sichtbares Zeichen an. Und weil zum inneren Kulte Gottes, der im Gebete und in der Andacht besteht, der Mensch bereits angetrieben wird im eigenen Innern durch den heiligen Geist; so mußte das Gesetz von seiten Gottes gegeben werden mit Rücksicht auf den äußeren Kult und demgemäß nach einem sinnlich wahrnehmbaren Zeichen. Da ferner die zehn Gebote wie allgemein zugängliche, erste Grundwahrheiten sind, so knüpfte das dritte Gebot beim Vorschreiben des äußeren Kultes an das äußere Zeichen der allgemeinsten Wohlthat seitens Gottes an, nämlich an die Darstellung des Werkes der Schöpfung, wovon Gott ruhte am siebenten Tage; denn um dies zu bezeichnen ward der siebente Tag ausgewählt, damit er heilig gehalten d. h. zu Gottes Dienst verwandt werde. Deshalb fügt Exod. 20. zum Gebote der Heilighaltung des Sabbaths hinzu, „denn in sechs Tagen schuf Gott Himmel und Erde; und am siebenten Tage ruhte Er.“
c) I. Nach dem Wortverständnisse ist das dritte Gebot teils ein moralisches, teils ein Ceremonialgebot. Es ist ein Moralgebot mit Rücksicht darauf daß der Mensch eine Zeit in seinem Leben feststellt, um dem Dienste und der Verehrung Gottes sie zu widmen. Denn von Natur besteht im Menschen die Neigung, daß er für Alles das, was ihm notwendig ist, eine gewisse Zeit bestimmt; wie z. B. für das Essen, Schlafen etc. Demgemäß widmet auch der geistigen Erholung in Gott, ganz nach der Anordnung der natürlichen Vernunft, der Mensch eine gewisse Zeit. Dies also, eine gewisse Zeit in vorher bestimmter Weise festhalten, um göttlichen Dingen sie zu widmen, fällt unter das Moralgebot. Insoweit jedoch im dritten Gebote ein bestimmter Tag bereits festgestellt ist, zum Zeichen der Erschaffung der Welt, ist dieses Gebot ein Ceremonialgebot. Und ähnlich ist es ein Ceremonialgebot nach der allegorischen Deutung, insofern es ein Zeichen der Ruhe Christi im Grabe war, die am siebenten Tage statthatte; — ebenso insofern es die Ruhe von jeder Thätigkeit und Last der Sünde, die Ruhe in Gott im moralischen Sinne anzeigt. Danach ist es auch ein allgemeines, alle Tugendwerke umfassendes Gebot. Endlich ist es ein Ceremonialgebot in der allegorischen Bedeutung, wonach es die Ruhe der Ewigkeit im seligen Genießen Gottes bedeutet. Unter den zehn Geboten aber steht es als Moralgebot, nicht als Ceremonialgebot. II. Die anderen Ceremonien des Gesetzes sind Zeichen einzelner besonderer Wirkungen Gottes; die Beobachtung des Sabbaths aber ist das Zeichen der allgemeinsten, allumfassenden Wohlthat, nämlich der Hervorbringung aller Kreaturen. Und deshalb konnte sie in mehr zulässiger Weise unter die zehn Gebote aufgenommen werden wie andere Ceremonialvorschriften. III. In der Beobachtung des Sabbaths sind zwei Dinge zu berücksichtigen: Das eine ist wie der Zweck, nämlich daß der Mensch göttlichen Dingen sich hingebe, und deshalb wird gesagt: „Gedenke, daß du den Sabbath heiligest.“ Denn jene Dinge werden nach dem Gesetze als geheiligt bezeichnet, die dem göttlichen Kulte gewidmet sind. Das Zweite bei der Beobachtung des Sabbaths ist die Enthaltung von knechtischen Arbeiten; und das wird ausgedrückt durch die Worte: „Am siebenten Tage des Herrn deines Gottes sollst du kein Werk thun.“ Das wird weiter erläutert (Lev. 23.): „Jegliches knechtische Werk sollst du an diesem Tage nicht thun.“ Nun giebt es eine dreifache Knechtschaft: 1. die der Sünde, nach Joh. 8.: „Wer Sünde thut, ist ein Knecht der Sünde;“ danach ist alles sündige Werk Knechtschaft; — 2. die Knechtschaft unter einem anderen Menschen, womit ein Mensch dem anderen dient, was nur mit Rücksicht auf den Körper zu nehmen ist, nicht mit Rücksicht auf die Seele; demgemäß werden als „knechtische Arbeiten“ bezeichnet jene körperlichen Werke, wonach ein Mensch dem anderen unterworfen ist; — 3. die Knechtschaft unter Gott, und danach ist das Werk der Anbetung Gottes ein Werk des göttlichen Dienstes. Das letztere dritte Werk des Dienens also wird gar nicht verboten am Sabbathe; vielmehr besteht darin die Beobachtung des Sabbaths. Denn deshalb enthält sich der Mensch der anderen Werke am Sabbathe, damit er die Werke, welche der Dienst Gottes verlangt oder die er speciell als Knecht Gottes thun soll, um so bereitwilliger vollende. Deshalb steht Joh. 7.: Die Beschneidung erhält der Mensch am Sabbathe und es wird dadurch nicht das Gesetz Mosis gelöst;“ und ebenso (Matth. 12.): „An den Sabbathstagen verletzen die Priester im Tempel den Sabbath“ d. h. sie dienen körperlich am Altare „und sind ohne Sünde.“ Demnach verletzten auch nicht jene Priester den Sabbath, die am Sabbathe die Bundeslade trugen. Auch keine Thätigkeit des Geistes ist gegen die Sabbathsruhe, wenn z. B. jemand lehrt mit Wort oder Schrift. Deshalb sagt Origenes (hom. 23. in Mem.) zu Num. 28. (die autem sabbati): „Die Schmiede und sonstigen Handwerker feiern am Tage des Sabbaths; der aber das göttliche Gesetz erklärt und die Wahrheit lehrt, steht nicht ab von seinem Werke und verletzt trotzdem nicht den Sabbath; wie ja auch die Priester im Tempel am Sabbathe wirken und ohne Sünde sind.“ Die zwei anderen Arten knechtischer Werke aber stehen entgegen der Beobachtung der Sabbathsruhe, insoweit sie den Geist hindern, sich göttlichen Dingen hinzugeben. Und weil der Mensch durch sündige Werke in höherem Grade gehindert wird, daß er sich göttlichen Dingen widme, wie durch sonst erlaubte knechtische Arbeiten; so sündigt er mehr gegen das dritte Gebot, wenn er da sündige Werke thut als wenn er eine körperliche Arbeit verrichtet, die an sich erlaubt ist. Deshalb sagt Augustin (de decem cordis 3.): „Besser thäte der Jude, wenn er am Sabbathe auf seinem Felde etwas Nützliches arbeitete, als daß er aufrührerisch ist im Theater; und besser thäten ihre Frauen, wenn sie an Sabbathen Wolle spinnen würden als daß sie an ihren Neumondsfesten unsittliche Tänze machen.“ Wer jedoch eine läßliche Sünde begeht, verfehlt sich nicht gegen das dritte Gebot; denn eine solche Sünde schließt nicht aus die innere Heiligkeit. Auch bei den körperlichen Arbeiten, die zum göttlichen Dienste nicht gehören, muß man einen Unterschied machen. Denn manche derselben werden knechtische genannt, insofern sie dem Knechte als Knecht zueignen. Andere sind gemeinsam den Knechten und den Freien; und werden deshalb als knechtische nicht bezeichnet. Jeder aber, Knecht oder Freier, ist gehalten, auch am Sabbathe, für das Notwendige zu sorgen; und zwar sowohl was seine eigene Person als was die Mitmenschen anbetrifft, nach Prov. 24.: „Errette jene, die dem Tode zugeführt werden,“ was auf das Heil des Körpers Bezug hat; und nach Deut. 22.: „Du sollst nicht sehen, wie der Ochse deines Bruders oder sein Esel herumirrt, und vorübergehen; sondern geleite sie zurück zu deinem Bruder,“ was den Nachteil im Besitze angeht, die körperliche Arbeit also, die den Zweck hat, das Wohl und die Gesundheit des eigenen Körpers zu erhalten, verletzt nicht den Sabbath; denn nicht ist es gegen die Sabbathsruhe, daß jemand ißt und dergleichen thut, was dem Wohle des Körpers dient. Die Makkabäer verletzten sonach nicht den Sabbath als sie zu ihrer Verteidigung am Sabbathe kämpften (I. Makk. 2.); ebenso Elias nicht, als er am Sabbathe vor dem Angesichte der Jezabel floh. deshalb entschuldigt der Herr auch seine Jünger, die am Sabbathe Ähren zerauft hatten, weil sie Hunger hatten. Desgleichen ist die körperliche Arbeit, welche das Wohl des Körpers eines anderen Menschen zum Zwecke hat, nicht gegen die Beobachtung der Sabbathsruhe; weshalb Joh. 7. es heißt: „Mir zürnet ihr, weil ich den ganzen Menschen gesund gemacht habe am Sabbathe?“ Und ebenso ist die Arbeit, die man thut, um den drohenden Verlust eines äußeren Besitzes zu vermeiden, nicht eine Verletzung der Sabbathsruhe, nach Matth. 12.: „Wer von euch, der ein einziges Schaf hat, wenn es am Sabbathe in die Grube fällt, wird es nicht festnehmen und herausziehen?“ IV. Der Sonntag ist im Neuen Bunde an die Stelle des Sabbaths getreten; nicht zwar infolge einer Vorschrift des Gesetzes, sondern auf Grund kirchlicher Bestimmung und des Gebrauches im christlichen Volke. Denn die Beobachtung des Sonntags ist nichts Figürliches wie es die Beobachtung des Sabbaths war im Alten Gesetze. Deshalb ist das Verbot, am Sonntage zu arbeiten, nicht so streng und eng wie es das Verbot war, am Sabbathe zu arbeiten. Vielmehr werden manche körperliche Arbeiten nun am Sonntage erlaubt, die vorher im Alten Gesetze verboten waren; wie das Bereiten und Kochen der Speisen und Ähnliches. Und ebenso wird in manchen sonst verbotenen Werken, wenn ein Notfall eintritt, leichter dispensiert, im Neuen wie im Alten Bunde. Denn das, was figürlich ist, gehört zum Bekenntnisse der Wahrheit und darf letztere auch nicht im mindesten außer acht gelassen werden; während die Werke selber an sich betrachtet veränderlich sind und anders beurteilt werden können nach den verschiedenen Zeit- und Ortsumständen.
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