Erster Artikel. Zu zürnen ist manchmal erlaubt.
a) Dagegen spricht Folgendes: I. Zu Matth. 5. (Qui irascitur) sagt Hieronymus: „In manchen Manuskripten wird hinzugefügt: ohne Ursache. Übrigens ist der Ausspruch ein wahrer, durch welchen jeder Zorn untersagt wird.“ II. „Das Übel der Seele ist, ohne Vernunft zu sein,“ sagt Dionysius. (4. de div. nom.) „Der Zorn aber hört nicht vollkommen auf die Vernunft,“ heißt es 7 Ethic. 6. Und Gregor (5. moral. 30.) sagt: „Wenn die Ruhe des Geistes der Zorn stört, zerreißt er ihn gleichsam und spaltet ihn.“ Ebenso Cassian (8 de instut. coenob. 6.): „Aus welcher Ursache auch man zürne, immer blendet die aufglühende Zornbewegung das Auge des Geistes.“ Zürnen also ist immer vom Bösen. III. „Der Zorn ist das Begehren nach Rache,“ sagt Augustin. (Hy. iu Lvvit. 70.) Der Herr aber sagt (Deut. 32.): „Mein ist die Rache.“ IV. „Gott urteilt in Ruhe,“ nach Sap. 12. Also führt uns jeglicher Zorn von der Ähnlichkeit mit Gott ab und ist somit Sunde. Auf der anderen Seite sagt Chrysostomus (op. imp. in Matth. 11.): „Wer ohne Ursache zürnt, wird schuldig sein; wer mit Grund zürnt aber nicht. Denn besteht kein Zorn, so macht die Lehre keine Fortschritte, die Urteilssprüche haben keine Festigkeit, die Verbrechen werden nicht bestraft.“ Also ist zürnen nicht immer vom übel.
b) Ich antworte, der Zorn sei eigentlich eine Bewegung im sinnlichen Teile, um etwas abzuwehren; und es wird danach die Abwehrkraft benannt. Nun kann unter solchen Leidenschaften im sinnlichen Teile eine gemäß ihrer eigensten Wesensgattung schlecht sein, weil ihr Gegenstand schlecht ist; wie der Neid von sich aus schlecht ist, denn er ist eine Trauer über das Gute im anderen, was an und für sich der Vernunft widerstreitet. (3 Ethic. 6.) Dies ist aber bei dem Zorne nicht der Fall, denn in guter und schlechter Weise kann man die Rache erstreben. Dann aber kann unter den Leidenschaften eine schlecht sein, weil sie zu groß oder zu klein ist, also das Maß überschreitet, welches die Vernunft vorschreibt. Und so kann Zürnen ein Übel sein, wenn es nämlich der Vernunft nicht folgt.
c) I. Die Stoiker nahmen alle und jede Leidenschaft als schlecht an. Und danach spricht Hieronymus, insofern mit der Leidenschaft immer etwas Schlechtes, Vernunftloses verbunden wird. (I., II. Kap. 24, Art. 2.) Denn er spricht vom Zorne, insoweit dieser auf das Übel des Nächsten sich richtet Die Peripatetiker aber, denen Augustin sich nähert (9. de civ. Dei 9.) unterschieden, ob die Leidenschaft der Vernunft folge oder nicht. II. Der Zorn kann dem vernünftigen Urteile vorhergehen; und so zieht er die Vernunft von ihrer Geradheit ab und ist vom Übel. Er kann aber auch der Vernunft folgen, insoweit er auf die Anordnung der Vernunft hin sich gegen die Laster erhebt. Deshab sagt Gregor (5. moral. 30.): „Man sorge recht sehr dafür, daß der Zorn, der als Werkzeug der Tugend in Gebrauch genommen wird, nicht den Geist beherrsche; daß er nicht als Herr vorangehe, sondern als Knecht folge bereit zu allem Dienste, den die Vernunft fordert.“ Dieser Zorn kann nun als ausführendes Werkzeug der Vernunft das freie Urteil derselben in etwa hindern, nimmt aber nicht die Geradheit fort: „Der Zorn als Eifer trübt das Auge der Vernunft;“ sagt Gregor l. c. „Der Zorn als Sünde macht es blind.“ Dies ist aber nicht gegen das Wesen der Tugend, daß die vernünftige Überlegung in etwa unterbleibt während der bloßen Ausführung dessen, was beraten worden ist; denn auch die Kunst würde in ihrer Thätigkeit gehindert werden, wenn sie, da sie ausführen soll, überlegen wollte. III. Nach Rache zu begehren, rein um jemand zu benachteiligen, ist vom Übel. Nach Rache streben aber, um diesen zu bessern oder um der Gerechtigkeit willen, ist lobenswert. Und danach kann der sinnliche Teil streben, insoweit er von der Vernunft in Thätigkeit gesetzt wird. Vollzieht sich die Rache gemäß der Ordnung des Urteilsspruches, so geht sie von Gott aus, dessen Diener die strafende Gewalt ist, wie Röm. 13. es heißt. IV. Gott müssen wir ähnlich sein im Begehren nach Gutem. In der Art und Weise es zu begehren können wir Ihm nicht ähnlich sein. Denn Gott hat kein sinnliches Begehren, das der Vernunft dienen soll; weshalb Gregor (l. c.) sagt: „Dann erhebt sich kraftvoller der Zorn gegen die Laster, wenn er der Vernunft unterthan ihr dient.“
