Dritter Artikel. Der Zornmut ist nicht imrner Todsünde.
a) Das scheint aber. Denn: I. Job 5. heißt es: „Den Thoren tötet der Zorn,“ wo vom geistigen Tode die Rede ist. II. Der Zorn verdient ewige Strafe, nach Matth. 5.: „Wer seinem Bruder zürnt, wird des Gerichtes schuldig sein,“ wozu die Glosse bemerkt: „Durch das Gericht, den Rat und die Hölle werden gemäß der Art und Weise der Sünde drei Stufen der ewigen Verdammnis ausgedrückt.“ III. Der Zorn ist im Gegensatze zur Liebe, wie Hieronymus zu Matth. 5. sagt: „Der Zorn ist gegen die Nächstenliebe.“ Also ist der Zorn Todsünde. Auf der anderen Seite sagt Cassiodor zu Ps. 4, 3.: „Läßlich ist der Zorn, der zu seiner Wirkung nicht gelangt.“
b) Ich antworte, von seiten des Gegenstandes, des Begehrbaren also (vgl. oben), sei der Zorn in seiner „Art“ betrachtet eine Todsünde. Denn eine ungerechte oder ungebührende Rache begehren ist gegen die Liebe und gegen die Gerechtigkeit; er kann dann nur läßlich sein wegen der unvollendeten Thätigkeit. Dieses Unvollendete kann nun von seiten des begehrenden sein, wenn nämlich die Zornesbewegung dem vernünftigen Urteile zuvorkommt; oder von seiten des Begehrbaren, wenn es sich um etwas Geringes handelt, wie z. B. ein Kind bei den Haaren ziehen. Von seiten der Art und Weise zu zürnen aber, ob nämlich innerlich oder äußerlich etwas zu viel sich findet, ist der Zorn seiner „Art“ nach keine Todsünde. Es kann jedoch vorkommen, “daß im einzelnen Falle er schwere Sünde sei; wenn nämlich auf Grund der Heftigkeit im Zürnen jemand von der Liebe Gottes und des Nächsten abfällt.
c) I. Die Thoren werden vom Zorne getötet, die nämlich den Zorn nicht zu zügeln wissen und so in Todsünden wie Gotteslästerung, Beleidigung und Benachteiligung des Nächsten fallen. Nicht also jeder Zorn ist schwere Sünde. II. Der Herr sagt dies vom Zorne im Anschlüsse an jene Worte des Gesetzes: „Wer tötet, wird des Gerichtes schuldig sein;“ und deutet an, er meine jenen Zorn, kraft dessen jemand die Tötung oder doch schwere Benachteiligung des Nächsten begehrt; was, wenn die Zustimmung der Vernunft hinzukommt, ohne Zweifel schwere Sünde ist. III. Steht der Zorn im Gegensatze zur heiligen Liebe, so ist er Todsünde.
