Vierter Artikel. Die Demut ist ein Teil der Bescheidenheit oder Mäßigkeit.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Die Demut unterwirft sich dem Menschen, um Gott zu ehren. Also ist sie eine theologische Tugend, da sie Gott zum Gegenstande hat. II. Die Mäßigkeit ist in der Begehrkraft, während die Demut in der Abwehrkraft sich zu finden scheint; wo auch der Stolz, ihr Gegensatz, seinen Sitz hat, dessen Gegenstand das Schwierige ist. Also ist die Demut kein Teil der Bescheidenheit oder Mäßigkeit. III. Die Demut und Hochherzigkeit beschäftigen sich mit Ein und demselben. Die Hochherzigkeit aber ist ein Teil der Stärke; also auch die Demut. Auf der anderen Seite sagt Origenes (hom. 8. in Luc.): „Willst du hören, wie die Philosophen diese Tugend (der Demut) genannt haben, so vernimm, sie sei die nämliche Tugend wie die μετρότης d. h. Maßhalten;“ was offenbar der Mäßigkeit oder Bescheidenheit entspricht.
b) Ich antworte, man müsse bei der Bestimmung, von welcher Tugend die eine ein Teil sei, vorzugsweise auf die Art und Weise des Vorgehens merken. Die Mäßigkeit nun hat ihr größtes Lob von da her, daß sie zügelt oder unterdrückt das Anstürmen der Leidenschaft. Alle Tugenden also, die in derselben Weise vorgehen, die also zügeln oder mäßigen einzelne Neigungen oder Thätigkeiten, werden als Teile der Mäßigkeit betrachtet. Wie aber die Sanftmut die Neigung des Zornes unterdrückt, so zügelt die Demut die Thätigkeit nach zu Großem hin. Wie also die Sanftmut ein Teil der Mäßigkeit ist, so auch die Demut. Deshalb sagt Aristoteles (4 Ethic. 3.), daß „jener, der maßvoll nach Geringem strebt, nicht zwar hochherzig, sondern gemäßigt ist;“ wir würden ihn demütig nennen. Und so nennt auch Cicero die Demut ein Maßhalten des Geistes. Dem stimmt bei 1. Petr. 3.: „In der Unvergänglichkeit eines ruhigen und maßvollen Geistes.“
c) I. Die theologischen Tugenden, welche sich unmittelbar mit Gott als dem nächsten Zwecke beschäftigen, der da im Bereiche des Begehrbaren das erste Princip der Thätigkeit ist, sind Ursachen oder Principien aller anderen Tugenden. Daß also die Demut verursacht wird von der Ehrfurcht vor Gott, schließt nicht aus, daß sie ein Teil der Mäßigkeit sei. II. Gemäß dem maßgebend bestimmenden Grunde in der Weise des Vorgehens, nicht gemäß ihrem Gegenstande oder ihrem Träger (Subjekt) werden die Teile einer Tugend bezeichnet. Die Demut kann also in der Abwehrkraft als ihrem Träger oder ihrem Subjekt ganz gut sein; und trotzdem wegen ihrer Weise des Vorgehens als Teil der Mäßigkeit bezeichnet werden. III. Der Gegenstand der Hochherzigkeit fällt mit dem der Demut zusammen; nicht aber ist die formal bestimmende Art und Weise des Vorgehens die nämliche. Danach gehört jene zur Stärke, diese zur Mäßigkeit.
