Erster Artikel. Die prophetie bezieht sich auf die Kenntnis.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Nach Ekkli. 48.: „prophezeite der tote Körper des Elisäus;“ und cap. 49.: „Die Gebeine Josephs prophezeiten nach dem Tode.“ Da aber kann von Kenntnis keine Rede sein. II. 1. Kor. 14. heißt es: „Wer prophezeit spricht zu Menschen zu ihrer Erbauung.“ Sprechen aber ist eine Wirkung der Erkenntnis und nicht die Erkenntnis selber. III. Jede Vollkommenheit, die zum Erkennen gehört, schließt aus Thorheit und Raserei. Beides aber kann mit der Prophetie sich zusammen finden, nach Ose. 9.: „Erkenne, Israel, den thörichten und tollen Propheten.“ Also ist die Prophetie keine Vollendung, die der Erkenntnis entspricht. IV. Wie Offenbaren zur Kenntnis, so scheint die Einsprechung zum Bereiche der Hinneigung zu gehören, denn sie schließt einen gewissen Anstoß zur Bewegung ein. Die Prophetie aber wird „Einsprechung“ ebensogut genannt wie „Offenbarung.“ (Cassiodor in prol. ad Psalt. cap. 1.) Also geht die Prophetie ebenso das Erkennen an wie das Wollen oder die Hinneigung. Auf der anderen Seite heißt es 1. Kön. 9.: „Wer heutzutage Prophet genannt wird, der wurde nämlich früher Seher genannt.“ Sehen aber bezieht sich auf die Kenntnis.
b) Ich antworte, Prophetie bestehe in erster Linie und hauptsächlich im Erkennen; denn die Propheten (von πρό und φάνος) heißen so, weil sie Fernes erkennen. Und deshalb wurden sie im Alten Testamente nach Isidor (7 Ethymol. 8.) „Seher“ genannt, „weil sie das sahen, was die übrigen nicht sahen und schauten was im Geheimnisse verborgen war.“ Weil aber nach 1. Kor. 12. „jedem die Offenbarung des Geistes verliehen wird zum Nutzen,“ „zur Erbauung der Kirche“ (o. 14, 12.); deshalb besteht die Prophetie an zweiter Stelle im Sprechen, soweit die Propheten das von Gott ihnen Geoffenbarte anderen zu deren Erbauung verkünden, nach Isai. 21.: „Was ich vom Herrn gehört, dem Gotte Israels, dem Herrn der Heerscharen, das habe ich euch gekündet.“ Was zudem über die menschliche Kenntnis hinaus von Gott geoffenbart wird, das kann nicht mit menschlichen Gründen gekräftigt oder bewiesen werden; und somit gehört zur Prophetie auch das Wunderwirken, was auf die über alle menschliche Kraft erhabene göttliche Macht zeigt, nach Mark. ult.: „Sie predigten überall; und Gott stand bei und bekräftigte ihr Wort durch Wunder;“ und Deut. 10.: „Es stand in Israel kein Prophet mehr auf wie Moses, der den Herrn geschaut hätte von Angesicht zu Angesicht in allen Wundern und Großthaten.“
c) I. Jene Stellen sprechen von diesem Letzten, Dritten; was zur Bestätigung der Prophetie dient. II. Der Apostel spricht vom Aussprechen der Prophetie. III. Jene Propheten sind falsche Propheten, wovon Ierem. (23, 16.) sagt: „Höret nicht auf die Worte der Propheten, die euch etwas voraus sagen, um zu täuschen. Was ihr Herz liebt, das sprechen sie; nicht aber was aus dem Munde Gottes kommt;“ und Ezech. 13.: „Wehe den thörichten Propheten, die täuschen; die da ihrem Geiste folgen und nichts sehen.“ IV. In der Prophetie wird erfordert, daß die gute Meinung des Geistes sich zur Erfassung des Göttlichen erhebt, weshalb bei Ezechiel gesagt wird: „Menschensohn“, stehe auf deinen Füßen und ich will mit dir sprechen.“ Diese Erhebung zu Göttlichem nun wird im Geiste begründet durch den Anstoß und das Einsprechen von seiten des heiligen Geistes; wonach da folgt: „Und es trat in mich der Geist ein und stellte mich auf meine Füße und ich hörte nun den, der zu mir sprach.“ Demnach ist zur Prophetie erfordert: 1. die Einsprechung mit Rücksicht auf die Erhebung des Geistes, nach Job 32.: „Die Einsprechung von seiten des Allmächtigen verleiht Verständnis;“ — 2. die Offenbarung mit Rücksicht auf das Erfassen göttlicher Dinge, worin die Prophetie vollendet und wodurch die Hülle des Dunkels und der Unkenntnis entfernt wird, nach Job 12.: „Gott offenbart von den Finsternissen aus das Tiefe.“
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