Vierter Artikel. Der Prophet erkennt kraft der göttlichen Offenbarung nicht Alles. was prophetisch erkannt werden kann.
a) Dagegen läßt sich geltend machen: I. Amos 3. heißt es: „Nicht wird Gott der Herr ein Wort thun, ohne daß Er nicht vorher sein Geheimnis geoffenbart seinen Dienern, den Propheten.“ Alles aber, was prophetisch geoffenbart wird, sind solche von Gott gemachte Worte. Nichts also davon besteht, was nicht dem Propheten offenbar gemacht würde. II. „Die Werke Gottes sind vollkommen.“ (Deut. 32.) Das göttliche Offenbaren aber wäre nicht vollkommen, wenn nicht Alles, was geoffenbart werden kann, auch thatsächlich geoffenbart würde; denn „voll kommen ist, dem nichts fehlt.“ (3. Physic.) Also. III. Das göttliche Licht ist mächtiger als Ursache der Prophetie wie das Licht der natürlichen Vernunft als Ursache der menschlichen Wissenschaft. Der Mensch aber. welcher eine irgend welche Wissenschaft besitzt, kennt Alles, was zu dieser Wissenschaft gehört; wie der Grammatiker z. B. alles Grammatikalische. Also kennt der Prophet Alles, was dem prophetischen Lichte unterliegt. Auf der anderen Seite sagt Gregor (1. o.): „Manchmal berührt der prophetische Geist den Propheten mit Rücksicht auf die Gegenwart und nicht mit Rücksicht auf die Zukunft; manchmal ist das Gegenteil der Fall.“
b) Ich antworte; verschiedene Gegenstände sind nicht zugleich außer auf Grund von etwas, das da sie einigt, wie alle Tugenden verbunden sein müssen in der Klugheit oder aus Grund der heiligen Liebe. Alles aber, was kraft eines Principes erkannt wird, ist verbunden und geeinigt in diesem Princip und hängt von selbem ab. Wer also dieses Princip vollkommen kennt, der kennt auch vollkommen Alles, was der Kraft nach in selbem enthalten ist. Ist er aber rücksichtlich dieses Principes in Unkenntnis, so besteht nicht die mindeste Notwendigkeit, daß er alles darin Enthalten« zugleich kennt. Vielmehr muß jedes einzelne darin Enthaltene für sich allein ihm offenbar werden; und somit kann er das Eine erkennen, da^ Andere aber nicht. Nun ist das wesentlich bestimmende Licht beim Propheten, das Princip seiner prophetischen Kenntnis, die erste Wahrheit selber. Da er also diese nicht schaut, besteht auch keinerlei Notwendigkeit, daß er alles durch prophetisches Licht Erkennbare erkennt; sondern er erkennt im einzelnen das Eine ohne das Andere in der Weise wie es ihm geoffenbart wird.
c) I. Gott offenbart Alles, was dem gläubigen Volke zu glauben notwendig ist, den Propheten; aber nicht Alles einem Propheten, sondern dem einen dies, dem anderen jenes. II. Die Prophetie ist wie etwas Unvollkommenes im Bereiche der göttlichen Offenbarung, weshalb (1. Kor. 13.) gesagt wird: „Die Weissagungen werden entleert werden“ und: „daß wir zum Teil weissagen“ das heißt unvollkommen. Die Vollendung der göttlichen Offenbarung wird im ewigen Heim sein, wonach (1. Kor. 13.) folgt: „Wenn kommen wird was vollendet ist wird leer gemacht werden was zum Teil ist.“ Der prophetischen Offenbarung kann demnach etwas mangeln; wenn nur nichts mangelt in dem, wozu die Prophetie Beziehung hat. III. Wer eine Wissenschaft besitzt, der kennt deren Principien, von welchen Alles im Bereiche dieser Wissenschaft abhängt. Wer also in vollkommener Weise den Zustand einer Wissenschaft hat, der weiß Alles, was zur betreffenden Wissenschaft gehört. Das Princip der prophetischen Erleuchtungen aber erkennt der Prophet nicht; denn er schaut nicht Gott.
