Dritter Artikel. Die Pprophetie erstreckt sich nicht aus Zufälliges in der Zukunft allein.
a) Nur das rein zufällig in der Zukunft Eintretende ist Gegenstand der Prophetie. Denn: I. Cassiodor sagt (l. o.): „Die Prophetie oder Weissagung ist ein Einsprechen oder Offenbaren von feiten Gottes, wodurch in unverrückbarer Weife künftige Ereignisse angekündigt werden.“ Künftige Ereignisse aber heißt: „Das unter Zufall in der Zukunft Eintretende.“ II. Die Gnade der Prophetie steht neben der Weisheit und dem Glauben, die sich auf Göttliches beziehen; neben der Unterscheidung der Geister, deren Gegenstand geschaffene Geister sind; neben der Wissenschaft, die sich mit menschlichen Dingen befaßt. (1. Kor. 12.) Also bezieht sich auf nichts von diesen Dingen die Prophetie und ist sfomit ihr Gegenstand nur das „Zukünftige“. III. Die Verschiedenheit in den Gegenständen bewirkt eine Verschiedenheit in den betreffenden Zuständen. Giebt es also eine Prophetie, die sich mit zukünftigen Ereignissen befaßt und eine, die mit anderen Gegen ständen sich beschäftigt, so würde eine zweifache Gattung Prophetie bestehen. Auf der anderen Seite sagt Gregor (l.c.): „Manche Weissagung richtet sich auf das Zukünftige, wie Isai. 7.: Siehe die Jungfrau wird empfangen; manche auf das Vergangene, wie Gen. 1.: Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde; manche auf das Gegenwärtige, wie 1. Kor. 14.: Wenn alle weissagen, es tritt aber ein ungläubiger ein, so wird das Verborgene feines Herzens offenbar werden.“
b) Ich antworte, wie das körperliche Sehen sich auf alle Farben erstreckt, so könne sich die prophetische Erleuchtung auf Alles erstrecken, was dem göttlichen Lichte unterliegt. Dem göttlichen Lichte aber unterliegt schlechthin Alles: Göttliches und Menschliches, Geistiges und Körperliches. Also kann sich auf dies Alles die Erleuchtung des Propheten erstrecken. So z. B. ist mit Rücksicht auf die Größe Gottes und der Engel durch den Dienst der Geister dem Isaias eine Offenbarung geworden, nach Isai. 6.: „Ich habe den Herrn gesehen wie Er auf einem hoch erhabenem Throne saß.“ Die Prophezeiungen des nämlichen Propheten enthalten auch das, was sich auf das Körperliche bezieht, nach Isai. 40.: „Wer hat gemessen in seiner Faust die Wasser?“ Auch was sich auf die menschlichen Sitten bezieht, ist da enthalten, nach Isai. 58.: „Breche dem hungrigen dein Brot;“ und ebenso die zukünftigen Ereignisse, nach Isai. 47.: „An einem Tage werden dich plötzlich diese zwei überkommen: Unfruchtbarkeit und Witwenschaft.“ Da jedoch die Prophetie im allgemeinen auf das sich richtet, was fern von unserer Kenntnis ist; so gehört etwas um so mehr zu derselben, je weiter es von der menschlichen Kenntnis abliegt. Darin nun giebt es eine dreifache Abstufung: Einmal kann etwas fern sein von der Kenntnis dieses bestimmten Menschen, sei es gemäß dem Sinn sei es gemäß dem Verständnisse; nicht aber von der Kenntnis aller Menschen. So erkennt jemand mit dem Sinne das, was ihm dem Orte nach gegenwärtig ist; dieses selbe aber erkennt ein anderer mit seinem menschlichen Sinne nicht, weil es für ihn abwesend ist. In dieser Weise erkannte Elisäus prophetisch, was in seiner Abwesenheit sein Schüler that (4. Kön. 5.); und ähnlich werden die Herzensgedanken des einen dem anderen offenbar, wie auch ebenso was der eine aus sicheren Beweisgründen kennt dem anderen prophetisch bekannt gegeben werden kann. Dann überschreitet etwas die Kenntnis aller Menschen ganz im allgemeinen; nicht als ob es nicht erkennbar wäre, sondern weil die menschliche Erkenntniskraft zu schwach dafür ist; dazu gehört das Geheimnis der Dreieinigkeit, welches (Isai. 6.) durch die Seraphim offenbart worden ist, die da sangen: „Heilig, heilig, heilig ...“ Endlich ist Anderes fern von der menschlichen Kenntnis, weil es an sich nicht erkennbar ist, wie das rein zufällig Zukünftige, dessen Wahrheit noch keinerlei Bestimmtheit hat. Und weil dies im eigentlichsten Sinne und an sich fern von der menschlichen Kenntnis bezeichnet werden Mß und ohne jegliche Einschränkung, so richtet sich darauf im eigentlichsten Sinne die Prophetie und wird danach benannt, so daß Gregor sagt (1. o.): «Da sonach die Prophetie danach genannt ist daß sie Zukünftiges vorhersagt, so verliert sie den Sinn ihres Namens, wenn sie sich mit der Vergangenheit oder der Gegenwart beschäftigt.“
c) I. Prophetie wird da definiert gemäß der eigentlichen Bedeutung des Namens; und unter demselben Gesichtspunkte steht sie (1. Kor. 12.) neben den anderen zum Besten der Mitmenschen verliehenen Gnaden. Damit ist erledigt: II. Hier kann jedoch außerdem geltend gemacht werden, daß alle Gegenstände, welche der prophetischen Erleuchtung unterliegen, darin übereinstimmen, daß sie nur vermittelst göttlicher Offenbarung für den Menschen erkennbar sind. Jenes aber, woraus sich die Weisheit, Wissenschaft, Erklärung der Rede beziehen, kann auch vermittelst der natürlichen Vernunft vom Menschen erkannt werden und wird kraft des göttlichen Lichtes nur in einer höheren Weise offenbar. Der Glaube aber richtet sich wohl aus das Unsichtbare und somit dem Menschen seiner Natur nach Unzugängliche; jedoch geht die eigentliche Kenntnis des Geglaubten den Glauben selber nichts an, der nur in der zuverlässigen Zustimmung zum Geglaubten besteht, während dieses Geglaubte von anderer Seite her gekannt oder gewußt wird. 111. Das wesentlich bestimmende Moment in der prophetischen Kenntnis ist das göttliche Licht. Von dessen Einheit also hat die Prophetie ihre wesentliche Gattungseinheit-, mögen auch die Gegenstände verschieden sein, welche durch das prophetische Licht offenbar werden.
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