Dritter Artikel. Paulus hat in der Verzückung das Wesen Gottes gesehen.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Act. 10. wird auch von Petrus erzählt, „er sei im Geiste verzückt worden.“ Er hat aber nur ein Gesicht gehabt vermittelst Phantasiebilder. Also hat auch Paulus, der bis in den dritten Himmel verzückt worden, nicht die göttliche Wesenheit gesehen; sondern es war ein Schauen vermittelst eines Phantasiebildes. II. Das Schauen des göttlichen Wesens macht den Menschen selig. Paulus aber war in jenem Schauen nicht selig; sonst hätte er es nie verloren und die Herrlichkeit des Himmels wäre auf seinen Körper übergeströmt, wie dies bei den Heiligen nach der Auferstehung der Fall sein wird. III. Glaube und Hoffnung bestehen nicht zusammen mit dem Schauen des göttlichen Wesens. (I. Kor. 13.) Paulus aber behielt in jenem Zustande Glauben und Hoffnung. Also. IV. Nach Augustin (12. supGen. ad litt. 6.) „erscheinen bei dem Schauen vermittelst eines Phantasiebildes gewisse Ähnlichkeiten mit Körpern.“ Paulus aber sah den dritten Himmel, das Paradies etc. Auf der anderen Seite bestimmt Augustin (ep. 147.): „Das Wesen Gottes selber konnte von einigen gesehen werden noch während ihres irdischen Lebens, wie von Moses und Paulus, der verzückt hörte unaussprechliche Worte, welche dem Menschen nicht erlaubt sind zu sprechen.“
b) Ich antworte, manche meinen, Paulus hätte nur einen gewissen Abglanz des göttlichen Wesens gesehen. Das Gegenteil jedoch bestimmt Augustin (ep. 147. et 12. sup. Gen. ad litt. 28.) und die Worte des Apostels selber bezeichnen dies; denn „er hörte unaussprechliche Worte etc.“ Derartig aber scheint dies zu sein, was zum seligen Anschauen gehört, nach Isai. 64.: „Das Auge sieht nicht, 0 Gott, ohne Dich, was Du bereitet hast denen, die Dich lieben.“ Denn dies überschreitet Alles, was von den Sinnen ausgedrückt werden kann hier auf Erden. Also wird zukömmlicher gesagt, Paulus habe das göttliche Wesen geschaut.
c) I. Der menschliche Geist wird 1. verzückt, wenn er die göttliche Wahrheit betrachtet vermittelst einzelner Bilder in der Phantasie, wie dies bei Petrus der Fall war; — 2. wenn er sie betrachtet vermittelst rein geistiger Wirkungen, wie bei David, der da sprach (Ps. 115): „Ich sprach in meinem Verzücktsein, jeder Mensch ist Lügner;“ — 3. wenn er die göttliche Wahrheit sieht in ihrem Wesen, wie Paulus, der erste Lehrer der Heiden; und Moses, der erste Lehrer der Juden. II. Das Licht der Herrlichkeit, vermittelst dessen allein nach Ps. 35, 10. das göttliche Wesen von der geschaffenen Vernunft geschaut werden kann, ist 1. in der Seele als andauernder Zustand; und so ist es in den seligen; 2. als vorübergehender Eindruck; und so war es bei Moses und Paulus. Daraus wird jemand also nicht schlechthin selig, so daß die Seligkeit auch auf den Körper überflösse. III. Paulus hatte nicht den Zustand des Lichtes der Herrlichkeit, sondern nur dessen Thätigkeit. Also war in jenem Schauen nicht zugleich die Thätigkeit des Glaubens und der Hoffnung, wohl aber deren Zustand. IV. Der Ausdruck „dritter Himmel“ bezeichnet zuvörderst den „Feuerhimmel.“ (Vgl. I. Kap. 68, Art. 4.) Nicht aber wird gesagt, er sei dahin verzückt worden, damit er ihn sehe oder ein Phantasiebild davon, sondern weil das coelum Empyreum der Ort ist für die Betrachtung der Seelen. Deshalb sagt die Glosse hierzu: „Der dritte Himmel ist der geistige Himmel, wo die Engel und seligen der Betrachtung Gottes genießen.“ Damit zeigt Paulus an, Gott habe ihm das Leben gezeigt, worin Er, Gott selber, in Ewigkeit zu sehen ist. Dann bezeichnet „der dritte Himmel“ ein überweltliches Schauen und zwar aus drei Gründen: 1. gemäß der Ordnung der Erkenntniskräfte; so daß „erster Himmel“ genannt wird das überweltliche körperliche Schauen, was durch den Sinn sich vollzieht wie die schreibende Hand bei Daniel; „zweiter Himmel“ das Schauen vermittelst der Phantasiegebilde, wie Johannes in der Apokalypse schaute; „dritter Himmel“ das rein vernünftige Schauen, wie dies Augustin beschreibt (1. c.); — 2. gemäß der Ordnung im Bereiche des Erkennbaren; so daß „erster Himmel“ genannt wird die Erkenntnis der Himmelskörper; „zweiter“ die der rein geistigen Substanzen; „dritter“ die Erkenntnis des göttlichen Wesens; — 3. gemäß den Stufen, wie Gott erkannt wird, so daß „erster Himmel“ ist die Stufe der niedersten Engelordnung, „zweiter Himmel“ die der mittleren, „dritter“ die der höchsten. Weil aber das Schauen Gottes nicht sein kann ohne Ergötzen, wird hinzugefügt, er sei verzückt worden in das Paradies.
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