Vierter Artikel. Die Ordensleute dürfen von Almosen leben.
a) Dies ist nicht erlaubt. Denn: I. 1. Tim. 5. gebietet der Apostel, daß die Witwen, die anderswoher leben könnten, nicht von den Almosen der Kirche leben, „damit denen,die wahrhaft Witwen sind,“ d. h. die da Not haben, „das Almosen der Kirche genüge.“ Und Hieronymus schreibt an Papst Damasus: „Wer von dem elterlichen Vermögen leben kann und annimmt, was für arme ist, begeht wahrlich einen Gottesraub; und wegen des Mißbrauches solcher Gaben essen und trinken sich diese das Gericht.“ Die Ordensleute aber können jedenfalls von der Arbeit ihrer Hände leben. Also dürfen sie keine Almosen annehmen. II. Von dem, was die gläubigen darbringen, leben ist der Lohn derer, die das Evangelium verkünden, nach Matth. 10, 10. Das Evangelium aber verkünden geht nicht die Ordensleute, sondern die Bischöfe an. III. Vollkommener ist es, „Almosen zu geben wie deren zu empfangen,“ nach Actt. 20, 35. Die Ordensleute aber sind im Stande der Vollkommenheit. IV. Das Annehmen von Almosen ist eine Gelegenheit zur Sünde und hindert die Tugendlhätigkeit, so daß zu 2. Thess. ult. (ut nosmetipsos formam daremus vobis) die Glosse bemerkt: „Der oft an fremdem Tische speist, muß, dem Müßiggange ergeben, notwendig dem schmeicheln, der ihn nährt.“ Auch Exod. 23. heißt es: „Nimm keine Geschenke an; denn sie verblenden;“ und Prov. 22.: „Wer borgt, ist der Knecht dessen, der ihm geliehen hat,“ während „unsere Religion den Menschen zur Freiheit ruft.“(Glosse zu 2. Thess. I. c.) Da also die Ordensleute die Gelegenheit zur Sünde meiden müssen, dürfen sie nicht Almosen annehmen. V. Die Ordensleute müssen der Apostolischen Vollkommenheit nachstreben, nach Phil. 8, 15. Paulus aber wollte von den gläubigen keine Almosen annehmen und nicht auf ihre Kosten leben, damit er alle Gelegenheit zum Ärgernisse abschneide. Also dürfen aus demselben Grunde auch die Ordensleute nicht von Almosen leben, weshalb Augustin sagt (de op. monach. 28.): „Schneidet die Gelegenheit ab, daß man meine, ihr suchet aus Müßiggang Gaben; euer Ruf wird dadurch verletzt und den schwächeren ein Ärgernis gegeben; zeiget den Menschen, ihr wollet nicht in Muße einen leichten Lebensunterhalt, sondern daß ihr den engen und schmalen Weg, der zum Himmelreiche führt, finden wollet.“ Auf der anderen Seite sagt Gregor: „Der heilige Benediktus hat durch drei Jahre hindurch in einer Höhle gelebt und nährte sich mit dem, was von einem römischen Mönche ihm gebracht wurde; nachdem er die Eltern und das väterliche Haus verlassen/' (2. dial. 1.) Der Heilige nun war stark genug zur Arbeit; also hätte er vielmehr von seiner Hände Arbeit leben müssen. Er lebte aber von Almosen. Also dürfen Ordensleute von ihrer Hände Arbeit leben.
b) Ich antworte, jeder könne vom Seinigen oder von dem ihm Geschuldeten leben. Nun kann jemand etwas als das Seinige betrachten, was anderer Freigebigkeit ihm schenkt. So sind ja durch die Freigebigkeit von Fürsten und anderer gläubiger Menschen Kirchen und Klöster gebaut und mit Besitztum ausgestattet worden, von dem die betreffenden Geistlichen und Ordensleute erlaubterweise leben können, ohne ihrer Hände Arbeit zu bedürfen. Thöricht aber wäre es zu sagen, es könnte jemand Häuser und Äcker als Almosen erhalten und davon leben; nicht aber bewegliche Dinge, wie ein Stück Brot oder etwas weniges Geld. Also können dergleichen Almosen angenommen werden und darf man davon leben. Da jedoch solche Gaben, seien es unbewegliche oder bewegliche, größere oder geringere, nur deshalb geschenkt werden, damit die betreffenden ohne andere Sorge dem göttlichen Dienste allein sich hingeben, so würde es unerlaubt sein, diese Gaben zu gebrauchen und von den religiösen Übungen abzustehen; da so die Absicht der Geber vereitelt wäre. Geschuldet dagegen ist etwas in zweifacher Weise: I. wegen der Notwendigkeit, „die alle gleichstellt,“ nach Ambrosius (serm. 64. de Temp). Wenn also die Ordensleute notleiden, dürfen sie von Almosen leben. Eine solche Not aber tritt ein:
a) bei körperlicher Schwäche, welche der Arbeit der Hände entgegensteht; —
b) wenn das, was durch die Arbeit erworben wird, zur Lebensnotdurft nicht genügt; weshalb Augustin sagt (l. c. c. 17.): „Die guten Werke der gläubigen, die das hinzuthun, was zur Befriedigung der Bedürfnisse noch mangelt, dürfen den Dienern Gottes nicht fehlen, die mit ihren Händen arbeiten; damit die Stunden, welche diese Diener Gottes dem Geistigen widmen und in denen sonach die körperlichen Arbeiten nicht geschehen können, in keiner Weise unter der Notdurft leiden; —
c) wenn „sie früher in der Welt ohne Arbeit mit Leichtigkeit hatten, um davon zu leben und sie dies, nachdem sie sich zu Gott bekehrt, den bedürftigen verteilt haben; dann ist ihre Schwäche zu tragen und anzuerkennen.“ (Augustin I. c. c. 21.) Denn solche Leute pflegen zu zart erzogen zu sein, als daß sie körperliche Arbeit aushalten könnten. Es wird 2. etwas geschuldet auf Grund dessen was zuerst gegeben worden, sei dies etwas Zeitliches oder etwas Geistiges, nach 1. Kor. 9.: „Wenn wir euch Geistiges gesäet haben, was ist da Großes dabei, wenn wir euer Zeitliches ernten?“ Danach können die Ordensleute Almosen annehmen:
a) wenn sie kraft höherer Autorität predigen; —
b) wenn sie dem Altare dienen, nach 1. Kor. 19.: „Wer dem Altare dient, hat teil am Altare; so auch können die das Evangelium verkünden vom Evangelium leben;“ und Augustin (I. c. c. 21.): „Sind sie Verkünder des Evangeliums, so dürfen sie auf Kosten der gläubigen leben; dienen sie dem Altare, sind sie Spender von Sakramenten, so maßen sie sich nicht an, sondern haben die Vollmacht, vom Altare zu leben;“ denn das heilige Meßopfer wird immer zum Besten des ganzen christlichen Volkes dargebracht, wo auch immer man es darbringt; —
c) wenn sie die heilige Schrift durchforschen, was zum Gemeinbesten geschieht, wie Hieronymus (cont. Vigilant. 5.) sagt: „Diese Gewohnheit besteht noch heute, und zwar nicht nur bei uns, sondern auch bei den Juden, daß wer Tag und Nacht im Gesetze des Herrn betrachtet und keinen Teil am Irdischen, sondern nur Gott zu seinem Anteil hat, durch die Gaben aller Synagogen auf der Erde genährt wird;“ —
d) wenn sie das Ihrige dem Kloster gegeben haben, so können sie von den dem Kloster verliehenen Almosen leben. Diesbezüglich sagt Augustin (l. c. c. 25.): „Wer, als er unter die armen Christi mit frommer, heilsamer Demut aufgenommen werden wollte, das Seinige, ob viel oder wenig, ihnen gegeben, dem soll das gemeinsame Leben und die brüderliche Liebe dies entgelten und ihm das zum Leben Notwendige geben. Ein solcher wird gut thun, wenn er mit den Händen arbeitet; will er es aber nicht, wer soll ihn dazu zwingen? Und selbst darauf ist nicht achtzugeben, welchem Kloster oder an welchem Orte er den bedürftigen Brüdern das Seinige gegeben; denn alle Christen haben ein und dasselbe Gemeinwesen.“ Wollen aber Ordensleute ohne Not und ohne daß sie einen Nutzen brächten müßig von den Almosen, welche den armen gegeben werden, leben; das ist unerlaubt. Deshalb sagt Augustin (I. c. c. 22.): „Sehr oft wollen in solches Ordensleben eintreten, die vom Knechtesdienste oder vom Landbau oder vom Handwerke oder aus ähnlichen Verhältnissen kommen; bei denen es nicht offen vorliegt, ob sie der Dienst Gottes oder die Scheu vor einem arbeitsamen Leben ins Kloster führt und ob sie in letzterem etwa nur genährt und gekleidet und noch dazu geehrt werden wollen von jenen, von welchen sie bis dahin nur verachtet zu werden pflegten. Solche Leute können sich mit der körperlichen Schwäche nicht entschuldigen, als ob sie nicht arbeiten könnten, das frühere Leben liefert den Beweis… Wollen derartige nicht arbeiten, dann sollen sie nicht essen. Denn nicht deshalb werden reiche in Demut arm im Kloster, damit arme da stolz und hochmütig werden. In keiner Weise ziemt es sich, daß in jenem Leben, wo Senatoren arbeitsam werden, Handwerker faul sein wollen; und daß da, wohin die Besitzer reicher Äcker kommen, um lebewohl zu sagen allem weichlichen Leben, daß da Bauern verweichlichen.“
c) I. Wenn anders den armen nicht beigestanden wird, also vom Falle der Not, gelten jene Stellen. Dann nämlich sind die Ordensleute nicht nur gehalten, keine Almosen anzunehmen, sondern auch das Ihrige, wenn sie etwas haben, zu verteilen. II. Die Bischöfe predigen kraft ihres Amtes; die Ordensleute kraft Auftrages und dem angemessen können sie Almosen annehmen, nach der Glosse zu 2. Tim. 2, 6. (laborantem agricolam oportet primum de fructibus percipere): „d. i. der Prediger, welcher im Acker der Kirche mit dem Spaten des Wortes Gottes die Herzen der Zuhörer bearbeitet, kann Zeitliches empfangen von den letzteren.“ Auch kann vom Evangelium leben, wer den Predigern dient und in ähnlichen Fällen (vgl. oben). III. An und für sich steht geben höher wie annehmen. Alles das Seinige aber fortgeben um Christi willen und Weniges empfangen zur Befriedigung der Lebensnotdurft, ist besser wie Geringes als Almosen geben. IV. Geschenke annehmen zur Vermehrung des bereits bestehenden Reichtums oder den Lebensunterhalt von jemandem annehmen ohne Nutzen und Not, und ohne daß damit eine Schuld abgetragen wird; das giebt Gelegenheit zur Sünde. So ist aber der Fall nicht bei den Ordensleuten. V. Wann die Notwendigkeit und der Nutzen offen vorliegt, weshalb Ordensleute von Almosen leben, ohne mit den Händen zu arbeiten, so entsteht daraus kein Ärgernis; außer etwa ein pharisäisches, das man nach Matth. 15. verachten soll. Wäre aber die Notwendigkeit und der Nutzen nicht offen vorliegend, so könnte bei schwachen ein Ärgernis entstehen; und das muß man vermeiden. Dieses selbe Ärgernis aber kann von denen herkommen, welche den Gemeinbesitz gebrauchen, um müßig zu gehen.
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