Fünfter Artikel. Die Ordensleute dürfen betteln.
a) Dem steht entgegen Folgendes: I. Augustin sagt (l. c. cap. 28.): „Sehr viele Heuchler im Kleide von Mönchen hat der schlaue Feind überall zerstreut, welche die Provinzen durchziehen… Alle wollen etwas, alle erbetteln sich entweder die Kosten einer gewinnreichen Bedürftigkeit oder den Preis einer geheuchelten Heiligkeit.“ Also sind die Bettelorden zurückzuweisen. II. Zu 1. Thess. 4, 2. bemerkt die Glosse: „Deshalb muß man thätig und nicht müßig sein, weil dies schicklich ist und wie ein Licht für die ungläubigen; ihr sollt nicht die Sache eines anderen zu haben wünschen, geschweige denn daß ihr um etwas bettelt und in dieser Weise etwas annehmet.“ Und zu 2. Thess. 3. sagt Augustin (de op. moon. 3.): „Er will, daß die Diener Christi arbeiten, damit sie haben wovon sie leben und nicht gezwungen sind, aus Not zu betteln.“ Also ist Letzteres unerlaubt. III. Betteln ist verboten im gottlichen Gesetze. Denn Deut. 15. heißt es: „Ein Bettler soll nicht unter euch sein;“ und Ps. 36.: „Ich habe den gerechten nicht verlassen gesehen und seine Kinder um Brot betteln.“ Auch das bürgerliche Recht bestraft einen Bettler, der stark genug ist, um zu arbeiten. IV. „Man schämt sich nur vor etwas Schimpflichem,“ sagt Damascenus. (2. de orth. fide 15.) Ambrusius aber sagt (1. de offic. 30.): „Die Scham vor dem Betteln verrät die anständige Abkunft.“ Also ist Betteln etwas Schimpfliches. V. Von Almosen zu leben kommt am meisten den Predigern des Evangeliums zu. Ihnen aber gebührt es nicht, zu betteln; denn zu 2. Tim. 2.(Ladorantem) sagt die Glosse: „Der Apostel will, daß der Verkünder des Evangeliums verstehe, das Notwendige annehmen von denen, zu deren Nutzen man arbeitet, sei keine Bettelei, sondern Vollmacht.“ Also sollen Ordensleute nicht betteln. Auf der anderen Seite hat Christus gebettelt, nach Ps. 39.: „Ich bin ein Bettler und arm;“ wozu die Glosse Cassiodors bemerkt: „Das sagt Christus von Sich selbst in der Knechtsgestalt; denn Bettler ist wer einen anderen um etwas bittet, arm wer sich selber nicht genügt; bedürftig (zu Ps. 69.) wer bettelt.“ Und Hieronymus schreibt in einem Briefe: „Dein Herr hat gebettelt; hüte dich, daß du nicht Reichtümer ansammelst.“
b) Ich antworte, der Akt des Bettelns habe einerseits eine gewisse Verächtlichkeit in sich. Denn jene scheinen die verächtlichsten Menschen zu sein, die bis zu dem Grade bedürftig sind, daß sie sogar ihren Lebensunterhalt von anderen empfangen müssen. Und danach betteln manche aus Demut, wie sie auch anderes Verächtliche thun, um wirksam so gegen den Stolz zu kämpsen. Deshalb heißt es Decret. de poen. dist. 2. cap. Si quis semel: „Übungen der Demut sind es, wenn jemand sich zu geringfügigen Dienstleistungen bequemt und sich der verächtlichen Thätigkeit für wert hält; denn so kann das Laster des Hochmuts und der menschlichen Anmaßung geheilt werden.“ So wünschte Fabiola, wie Hieronymus (ad Oceanum) lobend erwähnt, für die Verteilung all ihrer Reichtümer wie eine Bettlerin verachtet zu werden. Und Alexius freute sich, nachdem er all das Seinige für Christum dahingegeben, von den Knechten seines Vaters Almosen zu empfangen. Ähnlich dankte Arsenius (vit. patr.) Gott dafür, daß er aus Not um Almosen betteln dürfte. Demgemäß wird auch manchen als Buße aufgegeben, daß sie bettelnd eine Pilgerreise machen. Weil aber wie die übrigen Tugenden auch die Demut mit unterscheidendem Sinne geübt werden muß, nämlich wie, wo und wann es sich schickt, so darf man auch nur unter Abmessung der Umstände aus Demut betteln; damit nicht etwa der Mensch deshalb als habgierig betrachtet werde oder sonst etwas Ungeziemendes folge. Andererseits kann das Betteln betrachtet werden von seiten dessen, was erbettelt wird. Und so kann man aus Geldgier betteln oder aus Faulheit — und solches Betteln ist unerlaubt; oder man kann betteln aus Not oder Nutzen: aus Not, wenn man sonst nicht leben kann; aus Nutzen, wenn man etwas dem Gemeinbesten Nützliches herstellen will, wozu Almosen notwendig sind, wie z. B. eine Brücke, eine Kirche etc. oder auch wie Schüler, welche die Weisheit studieren wollen. Danach ist Betteln sowohl den Ordens- wie den Weltleuten erlaubt.
c) I. Augustin spricht vom Betteln aus Geldgier. II. Da ist die Rede vom Betteln aus Geldgier oder aus Faulheit; faul aber lebt jener nicht dahin, der mit Nutzen für andere sein Leben verbringt. III. Dieses Verbot will hindern, daß manche so geizig seien, daß andere zum Betteln gezwungen sind. Das bürgerliche Recht bestraft die starken Menschen, die aus Faulheit betteln. IV. Schimpflich ist 1. die Schuld; und so ist das Betteln nichts Schimpfliches; — 2. ist schimpflich oder verächtlich ein äußerer Mangel, wie schwach oder arm sein; und so ist Betteln zur Demut, gehörig. V. Den Predigern ist der Lebensunterhalt geschuldet. Wollen sie ihn aber nicht als etwas Geschuldetes betrachten, sondern ihn erbetteln, so ist dies ein höherer Grad der Demut.
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