Siebenter Artikel. Der Satz ist falsch: Der Mensch ist Gott geworden.
a) Dieser Satz ist richtig. Denn: I. Röm. 1. heißt es: „Was Er (Gott) vorher verheißen hatte durch seine Propheten in der heiligen Schrift über seinen Sohn, der Ihm geworden ist aus dem Samen Davids nach dem Fleische.“ Also ist der Mensch (Christus) Gott geworden. II. Augustin (1. de Trin. 13.) sagt: „Dieses Annehmen war so beschaffen, daß es Gott zum Menschen machte und den Menschen zu Gott.“ Wie also es wahr ist zu sagen: Gott ist Mensch geworden, so ist es wahr zu sagen: Der Mensch ist Gott geworden. III. Gregor von Nazianz (I. ad Cledonius) sagt: „Gott ist Mensch geworden, der Mensch ist zu Gott geworden oder wie jemand dies nennen will.“ IV. In dem Satze: Gott ist Mensch geworden, ist der Träger oder das Subjekt des Werdens nicht Gott, sondern die menschliche Natur, welche der Ausdruck „Mensch“ bezeichnet. Also ist mehr wahr der Satz: Der Mensch ist Gott geworden, wie jener andere: Gott ist Mensch geworden. Auf der anderen Seite schreibt Damascenus (3. de orth. fide 2.): „Nicht daß der Mensch Gott geworden, sagen wir; sondern daß Gott Mensch geworden ist.“
b) Ich antworte, dieser Satz: Der Mensch ist Gott geworden, könne in dreifacher Weise verstanden werden: 1. In der Weise, daß das Particip „geworden“ die nähere Bestimmung enthält für das Subjekt oder für das Prädikat; und so ist der Satz falsch, denn weder ist jener Mensch, von dem das „Gott“ ausgesagt wird, geworden als Mensch, nämlich als fürsichbestehend, noch ist Gott geworden und in dem nämlichen Sinne ist falsch der Satz: Gott ist Mensch geworden; — 2. in der Weise, daß dieses „geworden“ die nähere Bestimmung ist für die Zusammensetzung von Subjekt und Prädikat, so daß als Sinn sich herausstellt, „es ist geworden, daß der Mensch Gott sei;“ und so sind beide fraglichen Sätze wahr; da dies nicht von Ewigkeit bestand; doch ist dies nicht der eigentliche Sinn dieser Redeweise, außer man möchte annehmen daß dieses Wort „Mensch“ nicht für die Bezeichnung eines Fürsichbestehens dastehe, sondern einfach unbestimmt für „menschliche Natur;“ obgleich nämlich „dieser Mensch“ nicht Gott geworden ist, da die Person des Sohnes Gottes von Ewigkeit ist, der Mensch also, allgemein gesprochen, nicht immer Gott war; — 3. in der Weise, daß das Particip „geworden“ bedingt ein Werden beim Menschen mit Bezug auf Gott, wie auf den Abschluß des Werdens. Und in diesem letzteren Sinne ist der Satz falsch; denn wenn gesagt wird „Mensch“, so steht dieser Ausdruck für ein Fürsichbestehen oder ein persönliches Sein. Gott aber zu sein, ist für den Menschen nur wahr auf Grund der göttlichen Person, nicht auf Grund der menschlichen Natur. Die Person des Wortes nun war immer Gott. Also kann man nicht sagen, daß „dieser Mensch“ anfing, Gott zu sein oder daß er Gott werde oder geworden sei. Bestehen jedoch zwei Personen in Christo, so daß nur eine Verbindung gemäß des Affekts, der Würde etc. vorhanden wäre, wie Nestorius sagte, so könnte man ebenso sagen: Der Mensch ist Gott geworden, wie: Gott ist Mensch geworden.
c) I. In dieser Stelle darf das Beziehungswort „welcher“, womit die Person des Sohnes Gottes gekennzeichnet wird, nicht von seiten des Prädikats her verstanden werden, als ob damit gesagt werde, daß einer „aus dem Samen Davids nach dem Fleische“ geworden sei Sohn Gottes. Dieses „welcher“ muß vielmehr verstanden werden von seiten des Subjekts her, daß nämlich „der Sohn Gottes geworden ist“, also Mensch „zur Ehre des Vaters“ wie die Glosse hinzufügt „ein kommender vom Samen Davids nach dem Fleische“, wie wenn gesagt würde: „Der Sohn Gottes ist geworden einer, der Fleisch hat vom Samen Davids.“ II. Dieses Wort Augustins ist im zweiten oben angeführten Sinne zu verstehen, wo beide hier berührte Sätze wahr sind. III. Ebenso. IV. Der Ausdruck, welcher als Subjekt bezeichnet, steht für die Person oder das Fürsichbestehende, suppositum, als das bestimmbare (materiale) Moment. Der Ausdruck aber, welcher als Prädikat bezeichnet, steht für das bestimmende (formale) Moment, d. h. für die gekennzeichnete Natur. Wenn also gesagt wird: Der Mensch ist Gott geworden, so wird das Werden nicht zugeschrieben der menschlichen Natur, sondern dem in der menschlichen Natur Fürsichbestehenden, dem suppositum oder der Person in der menschlichen Natur Christi, d. h. der zweiten Person, der es nicht zukommt, Gott zu werden. Wenn aber gesagt wird: Gott ist Mensch geworden, so findet das Werden seinen Abschluß im Annehmen der menschlichen Natur. Also der erstere Satz ist falsch; dieser letztere wahr. So wäre es wahr zu sagen: Dieser Mensch, z. B. Sokrates, ist heute weiß geworden, nachdem er früher Mensch war. Falsch aber wäre es zu sagen: Dieses Weiße ist heute Sokrates geworden. Wird jedoch von seiten des Subjekts etwas gesetzt, was auf die menschliche Natur zeigt, so wäre der Satz wahr; z. B.: Die menschliche Natur ist geworden die Gottes des Sohnes.
