Erster Artikel. Daß Christus litt für die Befreiung der Menschen, war notwendig.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Nur durch Gott konnte das Menschengeschlecht befreit werden, nach Isai. 45.: „Bin ich nicht der Herr; und außer mir ist kein Gott. Einen gerechten Gott und einen Gott, der befreit, giebt es nicht außer mir.“ Gott aber ist keinerlei Notwendigkeit unterworfen. II. Das Notwendige ist entgegengesetzt dem Freiwilligen. Der Herr „hat Sich aber dargebracht, weil Er selber wollte“ (Isai. 57.). Also. III. Ps. 24. heißt es: „Alle Wege des Herrn sind Barmherzigkeit und Wahrheit.“ Eine Notwendigkeit für das Leiden aber besteht nicht von seiten der Barmherzigkeit, die unverdient, gratis, ihre Gaben giebt; sie besteht nicht von seiten der Gerechtigkeit, wonach der Mensch, weil Er die Verdammnis verdient hatte, für sich schuldig war, genugzuthun, und nicht ein anderer für ihn. Also besteht da überhaupt für den Heiland keine Notwendigkeit. IV. Die Engelnatur steht höher wie die menschliche. Für die gefallenen Engel aber hat Christus nicht gelitten. Also hat Er auch nicht gelitten zum Heile der Menschnatur. Auf der anderen Seite spricht der Herr selber (Joh. 3.): „Wie Moses aufgerichtet hat in der Wüste die Schlange, so muß erhöht werden der Sohn Gottes, damit alle, die an Ihn glauben, nicht untergehen, sondern das ewige Leben haben.“
b) Ich antworte, daß nach Aristoteles (5 Metaph.) etwas notwendig sei 1. weil es unmöglich sich anders verhalten kann; und so war von keiner Seite her das Leiden Christi notwendig; — 2. von seiten eines äußerlichen Einflusses als der bewegenden einwirkenden Ursache, wie dies beim Zwange der Fall ist; und so war das Leiden Christi ebenfalls nicht nötig; — 3. von seiten des Zweckes, der vorausgesetzt wird; und so bestand die Notwendigkeit für Christum zu leiden. Dieser Zweck nun kann in dreifacher Weise aufgefaßt werden:
a) von unserer Seite, die wir befreit worden, nach Joh. 3.: „Der Menschensohn muß erhöht werden, damit alle, die an Ihn glauben, nicht untergehen, sondern das ewige Leben haben;“ —
b) von seiten Christi selber, der durch die Demut des Leidens verdiente die Verherrlichung des Leibes (Luk. ult.): „Mußte nicht Christus so leiden, damit Er in die Herrlichkeit eintrete;“ —
c) von seiten Gottes selber, dessen in der Schrift angezeigte Vorherbestimmung erfüllt werden mußte; nach Luk. 22.: „Der Menschensohn geht dahin, soweit dies bestimmt ist;“ und Luk. ult.: „Dies sind die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, als ich bei euch war. Da es aber notwendig war, daß sich an mir erfülle, was Moses und die Propheten und die Psalmen über mich geschrieben haben, da es so geschrieben steht, so mußte Christus leiden und so eintreten in seine Herrlichkeit.“
c) I. Dies ist die Notwendigkeit des Zwanges von seiten Gottes. II. Dies geht auf den Zwang von seiten Christi. III. Notwendig war das Leiden von seiten der göttlichen Gerechtigkeit, weil Christus genuggethan hat für die Sünde der Menschen und so der Mensch durch die Gerechtigkeit Christi befreit worden ist; — von seiten der göttlichen Barmherzigkeit, weil, da kein Mensch von sich aus genugthun konnte für die Sünde der ganzen Natur, Gott den Menschen seinen Sohn geschenkt hat, damit dieser für sie genugthue, nach Röm. 3.: „Unverdienterweise gerechtfertigt durch die Gnade Gottes, vermittelst der Erlösung, die da ist in Christo Jesu, den da vorgestellt hat Gott als den Sühner durch den Glauben in seinem Blute.“ Und dies war der Ausdruck größerer Barmherzigkeit, als wenn Gott ohne Genugthuung einfach die Sünden nachgelassen hätte. Deshalb heißt es Ephes. 2.: „Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, wegen der allzu großen Barmherzigkeit, mit der Er uns geliebt hat, da wir tot waren in unseren Sünden, hat uns das Leben geschenkt in Christo.“ IV. Die Sünde des Engels war unheilbar, vgl. I. Kap. 64, Art. 2.
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