Siebenter Artikel. Christus hat gelitten gemäß seiner ganzen Seele.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Die Seele leidet nur, insoweit sie mit dem Körper zu einheitlicher Thätigkeit verbunden ist. Die Vernunft aber hat kein mit dem Körper verbundenes Thätigsein. Also gemäß diesem ihrem Vermögen hat die Seele nicht gelitten. II. Jedes Seelenvermögen leidet unter dem Einflüsse seines Gegenstandes. Der Gegenstand des höheren Teiles der Seele aber sind „die ewigen Seinsgründe, die sie anschaut und zu Rate zieht“ (Aug. 12 de Trin.7.). Von da her nun konnte für Christum kein Schaden entstehen. Also litt der höhere Teil der Seele Christi nicht. III. Das empfundene Leiden ist vollendet seinem Wesenscharatter nach, wenn es bis zur Vernunft hinanreicht. Dies geschah aber bei Christo nicht; es bestand da nach Hieronymus (Matth. 26.) keine passio, sondern nur eine propassio. Und Dionysius (ep. ad Joan.) schreibt: „Die Ihm zugefügtenLeiden ertrug Er gemäß dem Urteilen nur.“ Also litt Christus nicht nach der ganzen Seele. IV. Das Leiden macht Schmerz. Schmerz aber ist nicht in der schauenden Vernunft; denn „dem Ergötzen an der Betrachtung der Wahrheit steht keine Trauer gegenüber“ (1 Topic. 13.). Also war in Christo kein Schmerz der ganzen Seele nach. Auf der anderen Seite heißt es Ps. 87. in der Person Christi: „Angefüllt ist mit Übeln meine Seele“ d. h. „nicht mit Sünden sondern mit Schmerzen, kraft deren die Seele leidet mit dem Fleische.“ Angefüllt also war die Seele Christi von Schmerz, weil sie ganz und gar dem Schmerze zugänglich erschien.
b) Ich antworte; verstehen wir unter der „ganzen Seele“ das Wesen der Seele, so hat ohne Zweifel die ganze Seele Christi gelitten, denn die Seele ist ganz im ganzen Leibe und ganz in jedem Teile desselben. Verstehen wir aber unter der „ganzen Seele“ alle Vermögen der Seele, so kann ein Seelenvermögen leiden sowohl unter dem Einflüsse des ihm eigenen Gegenstandes, wie das Auge vom Lichte, als auch unter dem Einflüsse dessen, was dem ganzen Subjekte als dem Träger der Vermögen verderblich ist wie das Auge leidet unter dem Übelbefinden des ganzen Körpers oder auch unter einem Schlage auf das materielle Glied des Auges oder durch zu große Wärme für dieses Organ. Gemäß dem eigenen Gegenstande nun litten in Christo nur die niederen Seelenkräfte, welche mit Zeitlichem sich beschäftigen (Art. 6), dem gemäß eben die Ursachen solchen Leidens auseinandergesetzt worden sind. Danach litt der höhere Teil, die Vernunft, nicht: nämlich nicht gemäß dem ihm eigenen Gegenstande d. h. gemäß Gott, der vielmehr Quelle von Freude war für die Seele Christi. In der Weise aber wie alle Vermögen ihre Wurzel haben in der Seele, als in ihrem Subjekte und Träger, litten alle Vermögen der Seele Christi; denn alle diese Vermögen sind getragen vom Wesen der Seele, bis zu welcher, als der formenden, bethätigenden Kraft des Leibes, alles Leiden des Körpers gelangt.
c) I. Die Vernunft ist ein in dem Wesen der Seele wurzelndes Vermögen. II. Der Einwurf betrifft den der Vernunft eigenen Gegenstand. III. Der sinnliche Schmerz ist dann vollendetes Leiden, wenn er die Seele verwirrt, nämlich sie abbringt vom geraden Wege der Vernunft, so daß diese der Leidenschaft vielmehr folgt, als frei sie leitet. So war das Leiden nicht in Christo. IV. Der Einwurf geht von dem der Vernunft, als dem Vermögen für das Wahre, eigenen Gegenstande aus, und so ist da kein Leiden; sondern insoweit sie in der Seele wurzelt.
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