Vierter Artikel. Christus mußte am Kreuze leiden.
a) Dagegen spricht Folgendes: I. Die Wahrheit soll der Figur entsprechen. Im Alten Bunde aber wurden bei allen Opfern, die Figuren Christi waren, die Opfertiere mit dem Schwerte getötet. II. Damascenus sagt (3. de orth. fide 20.): „Christus durfte keine schimpflichen Leidenschaften annehmen.“ Der Kreuzestod aber war das schimpflichste Leiden, nach Sap. 2.: „Zum schimpflichsten Tode wollen wir Ihn verurteilen.“ III. Von Christo heißt es (Matth. 21.): „Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn.“ Der Kreuzestod aber war der Tod des Fluches, nach Deut. 21.: „Verflucht von Gott ist jener, der am Kreuze hängt.“ Also hätte Christus nicht am Kreuze sterben sollen. Auf der anderen Seite steht Philipp. 2, 8.
b) Ich antworte, im höchsten Grade zukömmlich sei der Kreuzestod gewesen; und zwar aus folgenden Gründen: 1. Wegen des Beispiels der Tugend. Denn Augustin sagt (83 Qq.33.): „Die Weisheit Gottes hat den Menschen angenommen als Beispiel, damit wir recht leben. Dies aber gehört zum rechten Leben, das nicht zu fürchten was nicht zu fürchten ist. Es giebt nämlich Menschen, die zwar nicht den Tod fürchten, jedoch zurückschrecken vor der Todesart. Damit also die Menschen, welche ein rechtes, tugendhaftes Leben führen, keine Todesart zu fürchten haben, hat der Sohn Gottes die schrecklichste und von allen gefürchtetste Todesart gewählt.“ 2. Diese Todesart war am meisten geeignet, genugzuthun für die erste Sünde, die erfolgt war auf Grund des Genusses der verbotenen Baumesfrucht. Christus wollte deshalb am Holze gekreuzigt werden, um gleichsam zurückzustellen, was Adam genommen hatte, nach dem Propheten (Ps. 68.): „Was ich nicht geraubt hatte, das habe ich damals bezahlt.“ „Es verachtete Adam das Gebot und nahm vom Baume die Frucht; aber was Adam verloren, hat Christus am Kreuze gefunden“ (Aug. serm. 101.). 3. „Am frei aufgerichteten Holze und nicht unter dem Dache hat Christus gelitten, damit Er sogar die Natur der Luft selber reinige. Und die Erde wurde gereinigt durch das Blut, welches herabfloß“ (Chrysost. de cruce et Iatr.). „Die Luft hat Er, erhöht am Kreuze, gereinigt, der da die Erde gereinigt hatte wandelnd auf ihr“ (Athan. de pass. domini). 4. Dadurch, daß Er in der Höhe stirbt, bereitet Er uns vor das Aufsteigen nach oben, wie Athanasius sagt (l. c.). Danach spricht Er selber (Joh. 12.): „Wenn ich werde erhöht sein von der Erde, werde ich Alles an mich ziehen.“ 5. Dies kommt der Erlösung des gesamten All zu. Denn, wie Gregorvon Nyssa (serm. 1. de Res.), Damascenus (4. de orth. fide 12.), Augustin (ep. 143.) sagen, „bezeichnet die Figur des Kreuzes, die vom Berührungspunkte in der Mitte nach den vier äußersten Seiten hin sich erstreckt, die Gewalt und die Vorsehung desjenigen, der an ihm gehangen; die nämlich überall hin sich geltend macht.“ Und Athanasius (l. c.) sagt: „Er stirbt am Kreuze mit ausgespannten Armen, daß Er mit der einen Hand das Alte Gesetz und mit der anderen die Heidenvölker erfasse.“ 6. Durch diese Todesart werden die verschiedenen Tugenden bezeichnet. Deshalb sagt Augustin (ep. 140.): „Nicht umsonst hat Er eine solche Todesart erwählt, daß Er als Herr und Meister dastehe der Breite und der Höhe und der Länge und der Tiefe, wovon der Apostel spricht. Denn die Breite, wovon der Apostel spricht, wonach seine Hände angenagelt waren, bezeichnet die guten Werke. Die Länge, welche von oben nach unten geht, und welche festhält den ausgestreckten Körper, deutet hin auf die Beharrlichkeit und Langmut. Die Höhe ist jenes Holz, welches vom gemeinsamen Berührungspunkte aus da hinaufgeht, worauf das Haupt ruht; es drückt aus die Hoffnung auf die himmlischen Güter. Die Tiefe aber, das Holz also, welches in die Erde hineingeht und wodurch Alles getragen wird, weist hin auf die Tiefe der unverdienten Gnade.“ Und so „ist das Holz, woran hingen die Hände des Leidenden, geworden die Lehrkanzel für den Lehrenden“ (Aug tract. in Joan. 119.). 7. Dieser Tod entspricht vielen Figuren. Denn „aus den wogenden Wassern der Sündflut wird das Menschengeschlecht durch eine Arche von Holz befreit; ein Stab in der Hand Mosis teilt das rote Meer für das Volk Gottes, das da Ägypten verlassen, streckt nieder den Pharao, befreit das auserwählte Volk; der nämliche Moses wirft ein Holz in das bittere Meer und dessen Wasser werden süß; ein hölzerner Stab läßt Wasser fließen aus dem Felsen; und damit Amalek besiegt werde, betet auf den Stab gestützt, Moses mit ausgebreiteten Händen; das Gesetz Gottes wird anvertraut der Bundeslade aus Holz; — damit auf dem Allem wie auf Stufen zum Holze des Kreuzes man emporsteige“ (Aug. serm. 101. de Temp.).
c) I. Der Altar für die Brandopfer war aus Holz (Exod. 26.); und darin entsprach die Figur ganz wohl der Wahrheit. Daß sie in Allem entspreche, ist nicht notwendig; sonst wäre sie eben das Versinnbildete. Und im besonderen sagt Athanasius (l. c.): „Das Haupt wird Ihm nicht abgeschlagen wie dem Johannes; Er wird nicht zersägt wie Isaias; damit der Körper ganz und unversehrt bleibe und keine Gelegenheit geboten werde denen, welche die Kirche teilen wollen.“ Anstatt des materiellen Feuers war am Kreuze das Feuer der Liebe. II. Was einen Mangel an Gnade und Wissen einschloß, nahm Christus nicht an. Das Unrecht von außen her aber trug Er, nach Hebr. 12.: „Er hielt aus das Kreuz und verachtete die Schande.“ III. Die Sünde ist Gegenstand des Fluches und demnach der Tod und die Sterblichkeit, die aus der Sünde kommt. Das Fleisch Christi nun war sterblich; „ähnlich dem Fleische der Sünde.“ Deshalb nennt es Moses „Gegenstand des Fluches“. Und 2. Kor. 5. heißt es: „Den, der die Sünde nicht gekannt hat, machte Er zur Sünde.“ „Vertrauet,“ ruft Augustin aus (14. cont. Faustum 6.), „Er hat den Fluch für uns auf Sich genommen; Er, den du bekennst, daß Er gestorben ist für uns.“ Und Gal. 3.: „Christus hat uns erlöst vom Fluche; da er Gegenstand des Fluches ist für uns geworden.“
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