Neunter Artikel. Die Buße kann eine fortwährende sein.
a) Dies kann sie nicht. Denn: I. Jerem. 31. heißt es: „Deine Stimme höre auf zu wehklagen und deine Augen zu weinen.“ II. Über jedes gute Werk soll der Mensch sich freuen, nach Ps. 99.: „Dienet dem Herrn in Freuden.“ Buße thun aber ist ein gutes Werk. Also kann darüber der Mensch sich freuen. Er kann aber nicht zugleich trauern und sich freuen (9 Ethic. 4.). Also braucht der Mensch nicht fortwährend zu trauern über die vergangenen Sünden, was Sache der Buße ist. III. 2. Kor. 2. heißt es: „Tröstet ihn (den reuigen), daß ihn die Reue nicht zu sehr verzehre.“ Der Trost aber vertreibt die Trauer der Buße. Auf der anderen Seite „soll der Schmerz in der Reue beharrlich festgehalten werden“ (Aug. l. c. 13.).
b) Ich antworte; man kann Reue haben dem Zustande nach und der thatsächlichen Wirksamkeit nach. In letzterer Weise kann der Mensch nicht immer bereuen; denn zum mindesten wird dieses Thätigsein unterbrochen durch den Schlaf und andere körperliche Bedürfnisse. Dem Zustande nach kann der Mensch immer bereuen; sowohl indem er nichts thut, was der Buße entgegen sei, als auch indem er wenigstens den Vorsatz nährt, immer Mißfallen zu haben an den vergangenen Sünden.
c) I. Wehklagen und Weinen gehört zu der äußerlichen Buße, die weder ununterbrochen ist noch bis ans Ende des Lebens dauert. Deshalb wird da hinzugesetzt: „Denn jedes Werk hat seinen Lohn.“ Der Lohn der Buße nun ist der Nachlaß der Sünden und der Strafen; ist dieser verliehen, so bedarf es des äußerlichen Werkes der Buße nicht mehr. II. Insoweit Freude und Schmerz genommen werden als Leidenschaften im sinnlichen Teile, kann Beides in keiner Weise und nach keiner Seite hin zugleich in der Seele sein; denn sie sind sowohl von seiten des Gegenstandes (wenn der Gegenstand natürlich der nämliche ist), wie von seiten des körperlichen Thätigseins einander entgegengesetzt; da die Freude von einer Erweiterung des Herzens begleitet wird und die Trauer von einer Zusammenziehung. Wird aber Freude und Schmerz genommen als geistige einfache Willensthätigkeit, so kann da nur jener Gegensatz sich finden, der vom Gegenstande kommt. Es kann da nicht Freude und Schmerz über einIII. und dasselbe unter dem gleichen Gesichtspunkte empfunden werden. Es kann jedoch Freude und Schmerz zugleich sein über Verschiedenes oder über ein und dasselbe unter verschiedenen Gesichtspunkten; wie, wenn wir den gerechten in Trübsal sehen, uns zugleich freut seine Gerechtigkeit und betrübt seine Trübsal; oder wie uns da seine Trübsal betrübt unter dem Gesichtspunkte des körperlichen oder seelischen Leides und sie uns freut unter dem Gesichtspunkte des Verdienstes der ewigen Seligkeit. Deshalb sagt Augustin (l. c.): „Der Büßer empfinde immer Reue und freue sich über die Reue.“ Denn es mißfällt ihm, daß er gesündigt; und es gefällt ihm, daß ihm dies mißfällt auf Grund der Hoffnung auf Verzeihung. Wenn aber auch die Trauer keinerlei Freude in ihrer Gesellschaft duldete, so würde dadurch allein die thatsächlich sich äußernde Buße als eine fortwährende ausgeschlossen werden; nicht die Buße dem Zustande nach. III. Die Tugend muß den Leidenschaften das richtige Maß auflegen (2 Ethic. 3.). Die Trauer aber im sinnlichen Teile, welche folgt dem reuigen Willen, ist eine Leidenschaft; und sonach ist sie gemäß der Tugend zu regeln. Das „zu viel“ führt zur Verzweiflung, wie hier der Apostel sagt. Und nach dieser Seite hin mäßigt der Trost die Trauer.
