Zweiter Artikel. Das Schauen ist hauptsächlicher in der Seligkeit wie das Ergötzen.
a) Dagegen sagt: I. Aristoteles (10 Ethic. 4.): „Das Ergötzen ist die Vollendung des Werkes.“ Die Vollendung aber ist hauptsächlicher wie das Vollendbare. II. Die Thätigkeit wird ersehnt wegen der damit verbundenen Freude. Deshalb hat auch die Natur zu den Thätigkeiten, die behufs der Erhaltung der Einzelwesen und der entsprechenden Gattungen notwendig sind, Freude und Ergötzen gemischt, damit selbige nicht vernachlässigt werden. Weshalb aber etwas ersehnt wird, das ist hauptsächlicher als das Ersehnte selbst. Also ist die mit der Seligkeit verbundene Freude hauptsächlicher wie die Thätigkeit der Vernunft, die ihr Wesen bildet. III. Das Schauen entspricht dem Glauben, die Freude oder der Genuß entspricht der Liebe. Die Liebe aber steht nach 1. Kor. 13. höher wie der Glaube. Also. Auf der anderen Seite steht die Ursache höher wie die Wirkung. Das Schauen in der Seligkeit aber ist die Ursache der Freude. Also steht es höher wie die Freude oder das Ergötzen.
b) Ich antworte, daß Aristoteles in 10 Ethic. 4. wohl diese Frage anregt, aber sie unbeantwortet läßt. Offenbar jedoch folgt für jenen, welcher sorgfältig nachdenkt, mit Notwendigkeit, daß die Thätigkeit der Vernunft, also das Schauen, im Vergleichemit dem Ergötzen die Hauptsache bildet. Denn letzteres besteht in einem gewissen Ausruhen des Willens. Daß aber der Wille in etwas ruht, das geschieht wegen der Güte dessen, worin derselbe ruht. Ruht also der Wille in irgend welcher Thätigkeit, so geht dies hervor aus der Güte dieser selben Thätigkeit. Und zudem sucht der Wille das Gute nicht an letzter Stelle, damit er gerade und allein darin ruhe; denn so wäre die Thätigkeit selber des Willens sein Endzweck, was Kap. 1, Art. 1 ad 2 zurückgewiesen. Nein; der Wille strebt deshalb danach, in der betreffenden Thätigkeit zu ruhen, weil diese Thätigkeit sein Gut ist. Also ist offenbar, auch vom Willen selber aus, diese eben genannte Thätigkeit das Hauptsächliche. Die Thätigkeit der Vernunft, worin der Wille sich ergötzt, kommt zuerst; und erst auf Grund dessen besteht die Ruhe des Willens in ihr.
c) I. Aristoteles sagt da: „Die Freude ist die Vollendung des Thätigseins, wie die Schönheit der Glanz und die Vollendung der Jugend ist.“ Eine solche Schönheit aber folgt der Jugend und begleitet sie. Sonach ist die Freude eine Vollendung, welche aus dem Schauen folgt und es begleitet; nicht aber als ob sie dieses Schauen vollendete und bethätigte, so wie die Farbe das Sehvermögen. II. Das sinnliche Erfassen dringt nicht vor bis zum allgemeinew Charakter des Guten, sondern richtet sich nur auf ein beschränktes und besonderes Gut, was in einem gewissen Ergötzen besteht. Gemäß dem sinnlichen Begehren also, wie es in den sinnbegabten Wesen ist, werden die Thätigkeiten gesucht um des Ergötzens willen. Die Vernunft aber erfaßt den allgemeinen Charakter des Guten, dem ohne weiteres das Ergötzen folgt; also will sie an erster Stelle das Gute selber und erst als Folge davon das Ergötzen. Daher also kommt es, daß die göttliche Vernunft, von der die Natur gegründet worden. Ergötzungen hinzugemischt hat zu den Thätigleiten, die sich nur auf rein natürliche Gegenstände, auf beschränkte Güter richten. Man darf aber nicht ein allgemeines Urteil fällen gemäß dem beschränkten Bereiche des sinnlichen Begehrens; sondern vielmehr nach dem allgemeinen Charakter des vernünftigen Willens. III. Die Liebe strebt nicht nach dem geliebten Gegenstande um des Ergötzens willen. Dieses folgt ihr vielmehr und begleitet sie, daß sie sich nämlich am erlangten Gute freut, welches sie liebt. Und demnach entspricht ihr als Zweck nicht die Freude oder das Ergötzen, sondern vielmehr die Anschauung, durch welche in erster Linie der Endzweck ihr gegenwärtig wird.
