XXXVIII. Kapitel: Von dem Gesichte des Bischofs Redemptus von Ferentino
Gregorius. Wundere dich darüber nicht, Petrus; denn deine Liebe hat den Bischof Redemptus von S. 183 Ferentino gekannt, einen Mann von verehrungswürdigem Lebenswandel, der vor ungefähr sieben Jahren aus dieser Welt geschieden ist. Dieser war mit mir, als ich noch im Kloster war, eng befreundet und erzählte mir auf mein Befragen hin selbst, was er zur Zeit meines Vorgängers Johannes des Jüngern1 über das Weltende geschaut hatte, so, wie es weit und breit bekannt wurde. Er kam einstmals, sagte er, als er wie gewöhnlich seine Pfarrkirchen besuchte, zur Kirche des heiligen Eutychius. Als es Abend wurde, ließ er sich sein Lager neben dem Grabe des Märtyrers bereitrichten und ruhte dort nach der Arbeit aus. Es war Mitternacht; er schlief nicht und konnte nicht, wie er sagte, völlig wach bleiben, sondern der wache Geist wurde, wie es gewöhnlich geschieht, vom Schlafe wie von einer Art Gewicht beschwert - da stand vor ihm der heilige Märtyrer Eutychius und sprach: „Redemptus, bist du wach?” „Ja”, erwiderte er, „ich bin wach.” Darauf sprach er: „Das Ende alles Fleisches kommt! Das Ende alles Fleisches kommt! Das Ende alles Fleisches kommt!” Nach diesem dreimaligen Rufe verschwand die Erscheinung des Märtyrers, die sich den Augen seiner Seele gezeigt hatte. Da stand der Mann Gottes auf und fing an zu beten und zu klagen. Bald folgten auch jene furchtbaren Zeichen am Himmel, daß man feurige Lanzen und Schlachtreihen von Norden her kommen sah. Und bald wurde das wilde Volk der Langobarden aus der Scheide seiner Wohnstatt gezogen und wütete gegen unseren Nacken; und das Menschengeschlecht, das in diesem Lande in überströmender Zahl wie eine dichte Saat dastand, wurde dahingemäht und verdorrte. Denn die Städte wurden entvölkert, die festen Plätze zerstört, Kirchen niedergebrannt, Männer- und Frauenklöster dem Erdboden gleichgemacht. Die Landgüter sind verlassen und niemand nimmt sich ihrer an; das flache Land liegt brach und ist verödet; kein Besitzer wohnt S. 184 mehr dort, und wilde Tiere hausen, wo ehedem viel Volk seine Wohnung hatte. Was in andern Teilen der Welt vor sich geht, weiß ich nicht. Aber in diesem Land, in dem wir leben, verkündigt die Welt ihr Ende schon nicht mehr, sondern zeigt es bereits. Um so inständiger also müssen wir nach dem Ewigen trachten, je mehr wir erkennen, wie schnell das Zeitliche dahingeht. Wir müßten die Welt verachten, auch wenn sie uns anlockte und mit glücklichen Dingen uns umschmeicheln würde; wenn sie aber mit soviel Geißeln geschlagen und von soviel Unglück heimgesucht wird, wenn sie soviel Schmerzen täglich uns verdoppelt, was ruft sie uns da anders zu als: „Liebet mich doch nicht!”
Vieles aber wäre noch von den Taten der Auserwählten zu erzählen, doch ich muß es mit Stillschweigen übergehen, weil ich zu einem andern Thema eile.
Petrus. Da ich sehe, daß viele, die sich im Schöße der heiligen Kirche befinden, an dem Fortleben der Seele nach dem leiblichen Tode zweifeln, so bitte ich dich, teile zur Erbauung vieler mit, sowohl was diesbezüglich aus Vernunftgründen zu folgern ist, als auch was dir an Beispielen von abgeschiedenen Seelen gegenwärtig ist, damit die Zweifler einsehen, daß die Seele mit dem Leibe nicht zu leben aufhöre.
Gregorius. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe, besonders für einen Mann, der viel beschäftigt ist und an anderes denken muß. Aber wenn es einigen zum Vorteil sein kann, so setze ich unbedenklich meinen Willen dem Nutzen der Mitmenschen nach und will, soweit ich’s mit Gottes Hilfe vermag, im folgenden vierten Buch den Beweis erbringen, daß die Seele nach dem Tode noch fortlebt. S. 185
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Papst Johann III. 560-573 ↩