2.
S. 505 Von so hoher Bedeutung ist nun der Gegenstand unserer Rede; für mich aber ist es von allen Seiten gefahrlos, den Gegenstand in Angriff zu nehmen, mag die Rede zur Größe der Thaten sich zu erschwingen vermögen oder auch nicht. Denn in beiden Fällen wird für den Gelobten das Lob gleich sein. Wenn nämlich die Rede die Wunder erreichen sollte, so wird sie geradezu die Zuhörer durch die Thaten in Verwunderung setzen. Bleibt sie aber hinter der Größe zurück, so wird auch auf diese Weise der Ruhm des Gelobten verherrlicht. Denn es ist die beste Lobrede auf einen Mann, wenn es sich zeigt, daß er für die Macht der Lobredner nicht erreichbar sei. Keiner aber von Denen, welche in der göttlichen Weisheit unterrichtet sind, soll wünschen, daß Dem, welcher in geistiger Weise Lob verdient, nach Sitte der Ungläubigen durch die kunstvollen Windungen der Lobreden Lob gespendet werde. Denn nicht auf das Gleiche stützt sich für uns und die Übrigen die Beurtheilung des Guten, und nicht die nämlichen Meinungen findet man über die nämlichen Gegenstände bei Denen, welche für die Welt leben, und bei Denen, welche über die Welt sich erheben. Denn Jene halten für etwas Großes und Wünschenswerthes Reichthum, vornehme Abkunft, Ruhm, weltliche Macht, Mythen über die Entstehung der Vaterstadt und Erzählungen, die von allen Verständigen abgewiesen werden, Trophäen, Schlachten und Leiden des Krieges; nach unserer Ansicht aber steht ein Vaterland in Ehren, das Paradies, der erste Herd des Menschengeschlechtes, eine Stadt, die himmlische, die aus lebendigen Steinen gebaut ist, deren Baumeister und Gründer Gott ist, eine vornehme Abstammung, die enge Verwandtschaft mit Gott, welche nicht von ungefähr Jemand zu Theil wird nach Art des menschlichen Adels, der bekanntlich durch zufällige Reihenfolge sich fortpflanzend oft auch auf Unwürdige übergeht, sondern die man nicht anders als durch seine Lebensweise erwerben kann. Denn Allen, die ihn aufgenommen haben, sagt das göttliche Wort, gab er die Macht, Kinder S. 506 Gottes zu werden.1 Was könnte aber ehrwürdiger sein, als ein solcher Adel? Um das Vaterland drehen sich bei allen Übrigen Mythen, Dichtungen, und mit den mythischen Darstellungen vermischter dämonischer Trug, unser Vaterland aber bedarf keiner rednerischen Darstellung. Denn wenn man nach dem Himmel schaut und seine Schönheit und die ganze Schöpfung mit dem Auge der Seele betrachtet, so wird man in allen Wundern, die man hier wahrzunehmen vermag, eine Schilderung unseres Vaterlandes finden, oder vielmehr nicht unseres Vaterlandes selbst, sondern der Pflanzstadt,2 in die aus dem höheren Leben verpflanzt wir die gegenwärtige Welt in Besitz genommen haben. Wenn aber die Pflanzstadt so beschaffen ist, so läßt sich schließen, wie die Mutterstadt der Pflanzstadt sei, welche Schönheit sie besitzt, was für eine Residenz sie hat, welche Seligkeit die genießen, welche in derselben ihre Wohnung aufgeschlagen haben. Denn wenn Das, was in der Schöpfung sich wahrnehmen läßt, eine solche Beschaffenheit hat, daß es über jedes Lob erhaben ist, was soll man von Dem glauben, was darüber hinaus liegt, was man weder mit dem Auge erfassen noch mit dem Gehör in sich aufnehmen noch mit dem Gedanken ergründen kann?3 Bei dieser geistigen Lobspendung wendet die göttliche Lobpreisung auf die Gelobten die eitle irdische Redeweise nicht an, indem sie es für unanständig erachtet, daß Die, von welchen Solches bekannt ist, durch irdische Ehre verherrlicht werden. Denn ein weltlich gesinnter Mann, der auf sinnliches Glück schaut, mag auf solche Dinge das Lob der Menschen gründen: wenn Einer ein Vaterland hat, das reich ist an Weideplätzen, wenn ein benachtbartes Meer reichliche Nahrung für Feinschmecker liefert, wenn aus wohl gefügten Steinen prachtvolle Gebäude sich erheben. Wer aber auf das höhere Leben schaut, für wen die Schönheit in der Reinheit der Seele besteht, der Reichthum aber in der S. 507 Besitzlosigkeit, das Vaterland in der Tugend und die Stadt in der Herrscherwohnuug Gottes selbst, der wird die Ehre in irdischen Dingen für Schande halten. So werden auch wir solche Lobsprüche bei Seite lassen und weder das Vaterland dem großen Gregorius zum Ruhme anrechnen, noch die Ahnen zur Vermehrung seines Lobes herbeiziehen, wohl wissend, daß es kein wahres Lob gibt, wenn es nicht eigenes Verdienst Derjenigen ist, die gelobt werden. Eigen aber nennen wir, was beständig bleibt und in Ewigkeit nicht geraubt werden kann. Da wir nun von Allem uns scheiden müssen, von Reichthum, Ansehen, Ruhm, Ehre, Lust, Genuß, Verwandten, Freunden und nur in unserm Zustande in Bezug auf Laster und Tugend ohne Trennung verharren so halten wir nur den Tugendhaften für glückselig.
Niemand glaube jedoch, daß ich, weil ich über das Vaterland und die Ahnen des Mannes Nichts von Bedeutung zu sagen wisse, unter dem Vorwande, als ob ich solche Dinge verachte, deren Schande verdecke. Denn wer kennt nicht den Beinamen des Pontus, der dem Volke vor allen Menschen vorzugsweise ist beigelegt worden, durch den die Tugend Derer bezeugt wird, die von Anfang an die Gegend in Besitz genommen haben? Denn unter allen Ländern und Meeren wird dieses allein das gastliche (εὔξεινος) [euxeinos] genannt, mag nun der Name für ihre freundliche Gesinnung gegen die Fremden Zeugniß geben, die zu ihnen kommen, oder die Gegend so beschaffen sein, daß sie nicht nur den Einwohnern und Eingebornen, sondern auch Denen, die von allen Seiten dahin kommen, die Lebensmittel in reichlichem Maße gewährt. Denn die Natur des Landes ist so beschaffen, daß es Alles, was zum Leben nothwendig ist, reichlich hervorbringt, und daß ihm keines von den Gütern der Bewohner anderer Länder mangelt, weil das Meer Alles, was anderswo vorhanden ist, zu seinem Eigenthum macht. Da nun das ganze Volk so beschaffen ist, daß man, welchen Theil desselben man immer für sich betrachtet, auf die Meinung kommt, daß er es den Übrigen zuvorthue, so ist nichts S. 508 desto weniger nach dem gemeinsamen Urtheil des Volkes die Stadt des großen Gregor gleichsam die Krone aller umliegenden, welche ein hervorragender König aus der Zahl Derjenigen, welche die Herrschaft der Römer befestigten, Namens Cäsar, aus Liebe und Zuneigung zum Orte für würdig hielt, daß sie nach seinem eigenen Namen Neu-Cäsarea genannt werde. Aber das paßt nicht zu unserm Zwecke, als ob wir glaubten, wir könnten hiedurch jenen großen Heiligen ehrwürdiger darstellen, wenn das Land mit Früchten beschwert, wenn die Stadt mit schönen Gebäuden geziert ist, wenn aus dem benachbarten Meere ungehindert von allen Seiten reichliche Zufuhr stattfindet. Ja, ich werde auch seine Ahnen, die seiner Geburt im Fleische vorangingen, in meiner Rede nicht erwähnen, oder von ihrem Reichthum, Rang und weltlichen Glanze sprechen. Denn was würden Grabmäler, Monumente und Inschriften und eitle Worte zum Lobe Desjenigen beitragen, der sich über die ganze Welt erhoben hat? Ausserdem ist es gar nicht möglich, Die zu seinem Lobe heranzuziehen, mit denen er Nichts durch Verwandtschaft der Seele gemein haben wollte. Denn Jene waren dem Irrthum und der Thorheit des Götzendienstes ergeben, dieser aber blickte zur Wahrheit auf und trat durch den Glauben in die höhere Verwandtschaft.
Aber auch wie und von wem er geboren wurde, oder welche Stadt er anfangs bewohnte, übergehen wir, als zu unserm gegenwärtigen Zwecke nicht gehörig, und wir wollen da mit unseren Lobsprüchen beginnen, wo er das Tugendleben begonnen hat. Obschon er in ganz schwacher Jugend der natürlichen Aufsicht und Leitung durch den Tod seiner Eltern beraubt war, zeigte er gleich anfangs in einer Zeit, wo der Verstand bei den Meisten in Folge der Jugend noch nicht entwickelt ist und in der Beurtheilung des Guten irre geht, was aus ihm im vollendeten Alter werden würde. Und wie die edlen Gewächse, wenn sie im ersten Wachsthum in gerade Äste emporschießen, den Landwirthen aus der bereits vorhandenen Zierde die spätere Schönheit erkennen lassen, auf S. 509 gleiche Weise zeigte auch er an seiner Person in einer Zeit, wo die Seele bei den Übrigen wegen Unerfahrenheit sehr gefährdet ist, indem die Jugend auf eitle und unnütze Dinge gewöhnlich leicht verfällt, durch die erste Richtung seines Lebens, daß David die Wahrheit sage, wenn er die Worte spricht: „Der Gerechte wird wie ein Palmbaum blühen“.4 Denn dieser Baum allein wächst mit vollendeter Dicke von der Erde zum Gipfel empor und erhält, während die Dimension der Höhe nach zunimmt, mit der Zeit keinen Zuwachs in die Breite. So blühte auch Jener vom ersten Keime an, indem er in seinem Lebenswandel sogleich in Vollkommenheit und mit hohem Laubwerk emporstrebte. Denn fern von Allem, wovon die Jugend sich hinreissen läßt, von Reiten, Jagd, Schmuck, Kleiderputz, Würfelspiel, Weichlichkeit, richtete er sogleich seine ganze Thätigkeit auf die Erwerbung der Tugenden, indem er nach einander auf Das sein Streben richtete, was dem jeweiligen Alter entsprach. Den Anfang zur Erwerbung der Tugenden machte er aber mit dem Streben nach Weisheit, dieser folgte wie ein beigespanntes Füllen, die Mäßigkeit, beider Kampfgenossen aber war die Enthaltsamkeit; Demuth und Sanftmuth erreichte er durch die Verachtung des Reichthums. Denn es gibt keine andere Quelle von Hochmuth und Überhebung, als daß die Habsucht diese Leidenschaften in ihrem Gefolge hat. Wie es aber von dem Patriarchen Abraham heißt, daß er die Weisheit der Chaldäer kannte, und indem er die harmonische und geordnete Stellung und Bewegung der Gestirne wahrnahm, sich dieser Kenntniß als einer Stütze zur Betrachtung des höheren Gutes bediente, da er erwog, wie das Übersinnliche sein müsse, wenn Das, was sich durch die Sinne erfassen läßt, so beschaffen sei, und so sein Ziel erreichte, indem er gleichsam auf die heidnische Weisheit seinen Fuß setzte und durch dieselbe sich höher erhob, so daß er in gewisser Weise durch sie den unbegreiflichen S. 510 Dingen nahte, so wurde auch dieser große Mann, indem er sich mit der heidnischen Weisheit eingehend befaßte, durch das Nämliche, wodurch die Meisten im Heidenthum festgehalten werden, zur Erkenntniß des Christenthums geführt, verließ den falschen Gottesdienst der Väter5 und suchte die Wahrheit, indem er aus den Schriften der Heiden selbst die Schwäche der hellenischen Lehren kennen lernte. Denn da er sah, daß die hellenische und zugleich die ausländische Weisheit in den Ansichten über die Gottheit in verschiedene Meinungen gespalten, und auch die Vertreter der Lehransichten unter sich uneins seien, und jeder für sich in wissenschaftlicher Darstellung aus zänkischem Wetteifer zu siegen strebe, so kehrte er ihnen den Rücken, als Leuten, die sich in inneren Kämpfen gegenseitig aufrieben. Und er erfaßte die Lehre des Glaubens, die aufrecht steht und durch keine Vernünftelei und keine künstlichen Windungen befestigt zu werden braucht, sondern in einfachen Worten Allen ohne Unterschied verkündet wird, und die gerade im Überragen des (natürlichen) Glaubens ihre Bestätigung findet. Denn wenn die Lehre von der Art wäre, daß sie durch die Kraft der menschlichen Vernunft erfaßt werden könnte, so würde sie sich in Nichts von der hellenischen Weisheit unterscheiden. Denn auch sie halten Das, was sie zu erfassen vermögen, für wirklich. Da es aber der menschlichen Vernunft unmöglich ist, die höhere Natur zu erfassen, so tritt deßhalb an die Stelle der Vernunft der Glaube, der sich auf Das erstreckt, was Vernunft und Fassungskraft übersteigt. Wie daher die Schrift von Moses sagt, daß er in aller Weisheit der Ägyptier unterrichtet wurde,6 so eignete sich auch dieser große Mann die ganze Bildung der Hellenen an und wurde, da er durch eigene Erfahrung die Schwäche und Unzuverlässigkeit ihrer Lehrer kennen gelernt hatte, ein Schüler des Evangeliums, S. 511 und bevor ihm die mystische und unkörperliche Geburt zu Theil ward,7 führte er ein so tadelloses Leben, daß er keinen Sündenschmutz zum Bade mitbrachte. Und als er in Ägypten in der großen Stadt Alexanders weilte, wohin von allen Seiten die Jugend zum Studium der Philosophie und Arzneikunde zusammenströmte, gewährte es seinen Altersgenossen ein unangenehmes Schauspiel, einen Jüngling zu sehen, der mit einer Enthaltsamkeit geziert war, die über sein Alter ging. Denn das Lob des Reinen war ein Vorwurf für die Befleckten. Damit nun die Zügellosen einige Entschuldigung fänden, wenn sie nicht allein so zu sein schienen, kamen sie auf einen hinterlistigen Einfall. Sie stiften nämlich eine gemeine Dirne aus einem öffentlichen Bordelle8 an, ihn zu verleumden. Als er nun, wie gewöhnlich, mit den auserlesenen Männern in ernster Stimmung über einen philosophischen Gegenstand eine eingehende Untersuchung anstellte, trat das Weib zu ihm hin mit frechen und schamlosen Geberden, und gab sich durch alle ihre Reden und Handlungen den Anschein, als ob sie mit ihm wohl bekannt wäre. Hierauf sagte sie, er sei ihr den Lohn rückständig, und fügte in schamloser Weise auch hinzu, für welche Leistungen sie ihn einer Verkürzung des Lohnes beschuldige. Da diese aber die Reinheit seines Lebenswandels kannten und von Unwillen und Zorn gegen das Weib ergriffen wurden, theilte er mit ihnen, die wegen seiner Person ungehalten waren, nicht die Aufregung, und es entfiel ihm nicht in Folge der Verleumdung ein Wort, wie man es dem Gekränkten nicht hätte verübeln können, er rief Niemanden zum Zeugen für seinen S. 512 Lebenswandel an, wies nicht mit einem Eide die Schmach von sich, hielt nicht Jenen ihre Schlechtigkeit vor, die diesen ärgerlichen Auftritt gegen ihn veranlaßt hatten, sondern sagte, indem er sich mit ruhiger und gemäßigter Stimme an einen seiner Kameraden wandte: He du, zahle ihr das Geld, damit sie uns nicht länger belästigt und in unserer vorliegenden Arbeit stört. Als nun Der, an den er diese Aufforderung richtete, von der Dirne vernommen hatte, wie viel Geld sie von ihm fordere, zahlte er ihr sogleich Alles aus, und die Ausgelassenen hatten mit ihrer Hinterlist gegen den Züchtigen ihr Ziel erreicht, und der Gewinn befand sich in den Händen des ehrlosen Weibes. Da nun gibt Gott Zeugniß von der Züchtigkeit des Jünglings und überführt seine Altersgenossen der Verleumdung. Denn kaum war das Geld in ihre Hände gekommen, so wurde sie vom bösen Geiste gepackt und sank brüllend wie ein Thier, nicht mit menschlicher Stimme aufschreiend, mitten unter den Versammelten hin, wo sie den zahlreich Anwesenden mit verworrenen, von ihren eigenen Händen zerrauften Haaren, mit verdrehten Augen und schäumendem Munde, einen schauerlichen und furchtbaren Anblick darbot. Und nicht eher ließ der böse Geist ab, sie zu würgen, als bis dieser große Mann Gott anrief und ihr Verzeihung erflehte.
Joh. 1, 12. ↩
Ἁποικία [Apoikia], colonia. ↩
I. Kor. 2, 9. ↩
Ps. 91, 13 [hebr. Ps. 92, 13]. ↩
Gregor der Wunderthäter stammte von heidnischen Eltern. ↩
Apostelgesch. 7, 22. ↩
Bevor er die Taufe empfing. ↩
Ἐξ οἰκήματος ἐπ’ ἀτιμίᾳ κατεγνωσμένον [Ex oikēmatos ep’ atimia kategnōsmenon]. Statt κατεγνωσμένον [kategnōsmenon] ist wohl κατεγνωσμένου [kategnōsmenou] zu lesen. Sifan: infamia irrogata ex carcere dimissa (muliercula meretrix). Da er die griechischen Worte nicht verstand, hat er sich auf blindes Raten verlegt. ↩
