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Er war nun dort bald angekommen, ― denn der Eifer im Guten gestattete ihm keine Zögerung, ― ohne daß er sich eines Gefährtes oder Pferdes oder sonst eines Transportmittels bedient hatte sondern, auf einen Stock gestützt und mit seinen Reisegefährten Betrachtungen über die höhere Hoffnung anstellend hatte er den ganzen Weg zurückgelegt. Damit gab er sich immer vorzugsweise ab und behandelte in Vergleich mit seinem hauptsächlichen Streben das Übrige als Nebensache. Als nun von seinen Wegweisern ihm die Stelle gezeigt wurde, wo der Fluß ausgetreten war, und der Augenschein ihn vom Mißstand überzeugte, es hatte sich nämlich an der Stelle durch den Andrang des Wassers eine tiefe Schlucht gebildet, da sprach er also zu den Versammelten: Es vermögen, o Brüder, die Menschen die Bewegung des Wassers nicht in Grenzen einzuschließen, und der göttlichen Macht allein ist es vorbehalten, dem Lauf der Gewässer Schranken zu setzen. Denn also spricht der Prophet zu Gott: „Du hast ihm eine Grenze gesetzt, die er nicht überschreiten wird.“1 Nur Christus, dem Herrn der Schöpfung, ist die Natur der Elemente unterthan und sie bleiben beständig da, wo ihnen ihre Stellung angewiesen S. 534 wurde. Da also Gott den Gewässern ihre Grenzen setzt, so kann auch er allein durch seine Macht dem Austreten dieses Stromes Schranken setzen. Sprach es, und wie von göttlichem Hauche begeistert, fleht er mit lauter Stimme Christus an, er möge ihm zu dieser That Beistand leisten, und befestigt den Stab, den er in der Hand trug, an der verwüsteten Uferstelle. Da aber die Erde an jener Stelle durchweicht und locker war, so gab sie leicht der Last des Stabes und seinem Handdruck, als er ihn befestigte, nach und wich in die Tiefe. Hierauf flehte er zu Gott, es möchte dieß zu einem Damme und einer Schranke gegen das unregelmäßige Austreten der Gewässer werden und kehrte wieder zurück und bewies durch den Erfolg, daß das, was durch ihn geschah, durch göttliche Kraft bewirkt wurde. Denn bald darauf faßte der Stab am Ufer Wurzel und wurde zum Baume. Für den Strom aber bildete der Baum die Grenze, und heute noch nehmen die Einwohner den Baum in Augenschein und wissen von ihm zu erzählen. Denn wenn der Lykos durch Regengüsse und Gebirgsbäche nach seiner Gewohnheit anschwillt und seine Gewässer unter furchtbarem Brausen dahin rauschen, so streift er dann mit seinen Fluthen den untersten Fuß des Baumes, und wiederum sammelt er den Wogenschwall in der Mitte, und wie wenn er sich scheute, dem Baume nahe zu kommen, machen seine Wogen eine Krümmung und gehen an jener Stelle vorüber.
Das war die Macht des großen Gregor oder vielmehr Gottes, der in ihm seine Wunder wirkte. Denn die Natur der Elemente zeigte sich, wie wenn sie in Knechtschaft sich befunden hätte, auf den Befehl hin, wie er wollte, in verändertem Zustand, so daß ein See sich in fruchtbares Land umwandelte und die Wasserschlünde Bewohner erhielten, indem der Stab den Bewohnern Sicherheit gewährte. Noch heute führt der Baum den Namen Stab, eine Erinnerung an die Wohlthat und Macht Gregors, welche den Einwohnern für ewige Zeiten erhalten bleibt.
S. 535 Was für ein Wunder eines Propheten willst du dem gegenüber gestellt sehen? Soll ich die Theilung des Jordan anführen, welche Elias vor seiner Auffahrt durch den Schlag mit der Schafhaut zu Stande gebracht hat,2 und nach ihm Elisäus, der Erbe des Schaffells und des Geistes? Aber zu ihrer Zeit wurde bloß den Propheten im Augenblick der Noth durch die Theilung des Wassers der Durchgang durch den Jordan möglich gemacht, indem dieser seinen Lauf so lange hemmte, als es nothwendig war, damit die Propheten den Boden trockenen Fußes durchschreiten konnten. In der Folgezeit war er aber für die übrigen Menschen wie zuvor. Der Lykos dagegen, einmal von seinem unregelmäßigen Laufe zurückgedrängt, veranlaßt für immer die Bewunderung des Gregor, indem er in der ganzen Folgezeit in dem Zustande blieb, in den ihn der Glaube des großen Mannes zur Zeit des gewirkten Wunders versetzt hatte. Der Zweck der That war aber nicht, die Zuschauer in Staunen zu versetzen, sondern die Anwohner des Flusses zu retten; daher ist zwar das Wunder gleich groß ― denn es fügt sich sowohl den Propheten als auch dem Nachahmer der Propheten in gleicher Weise die Natur des Wassers, ― aber wenn man es frei heraussagen will, die That des Letztern in Bezug auf Menschenliebe steht höher, weil dadurch den Einwohnern Sicherheit gewährt wurde, da das Wasser, nachdem es einmal an jener Stelle des Flusses aufgehalten worden war, auch später ohne Veränderung blieb.
