10.
S. 540 Worüber soll man nun sich mehr wundern? Darüber, daß der Mann durch die Wahl der Würdenträger nicht den klaren Blick verlor und durch die Zeugschaft der Angesehenen sich nicht mit fortreissen ließ, oder vielmehr darüber, daß er den unter den Kohlen verborgenen Reichthum hochschätzte, da ihm sogleich darauf von Gott das Zeugniß für die richtige Beurtheilung durch das Gesicht des Rhetors1 ertheilt wurde? Denn mir scheint hievon das Eine wie das Andere an und für sich so beschaffen zu sein, daß der Vorrang streitig ist, Beides aber beinahe über alle Wunder, deren irgend eine Erwähnung geschieht, den Sieg davon trägt. Denn der Widerstand gegen das Drängen der Vornehmen war das deutlichste Merkmal seiner unwandelbaren hohen Gesinnung. In Folge hievon sah er alle Erscheinungen in der Welt in gleicher Weise an, mochten sie den höheren und glänzenden Regionen, oder den niedrigen und unansehnlichen angehören. Und da er der Tugend allein den Vorzug gab und bloß ein schlechtes Leben für verwerflich hielt, sah er Alles für Nichts an, was man in der Welt für wünschenswerth oder verächtlich hält. Diese seine Gesinnung legte er also auch damals an den Tag. Denn da er nach Dem forschte, der würdig und Gott angenehm wäre, so hielt er es nicht für sachdienlich, hiebei auf Reichthum, Ansehen und Glanz dieser Welt zu schauen, wovon das göttliche Wort Nichts unter der Zahl der Güter aufzählt. Nicht dieß allein ist nun des Lobes und der Bewunderung würdig, daß er den Bestrebungen der Angesehenen nicht nachgab, sondern auch, daß er sich durch Das, was er weiter that, selbst übertraf. Denn hätte er nur eine unglückliche Wahl verhindert, sonst aber weiter für Nichts gesorgt, so hätte er nur das Unheil ferne gehalten, aber nicht das Gute vollbracht. Er aber wies nicht bloß das Schlechte von sich, sondern machte auch das Gute ausfindig und brachte auf doppeltem Wege das Gute zu Stande, indem er S. 541 einerseits dem Bösen keinen Eingang gestattete, anderseits das Gute in Thätigkeit setzte, so daß der große Gregor nach beiden Richtungen hin der Stadt Vortheile brachte, indem er das, was aus Unwissenheit gefehlt wurde, verbesserte und das Gut, das unter ihnen verborgen war, durch sein Eingreifen an’s Licht zog.
Da aber durch den Beistand des heiligen Geistes dem großen Manne Alles nach Wunsch von Statten ging, dürfte es nicht ungeeignet sein, zu erzählen, was ihm auf dem Wege zustieß, um zu zeigen, wie in Allem dem Manne die Gnade zur Seite stand. Denn da Allen einleuchtete, daß dem Manne vorzugsweise am Herzen lag, in Allem auf den Trost der Dürftigen zu schauen, so paßten ihm zwei Hebräer, sei es aus Eigennutz, sei es um den Mann zu verhöhnen, als ob er leicht hintergangen werden könne, den Weg ab. Von diesen lag der eine scheinbar todt, rücklings hingestreckt, quer über der Straße, der andere aber stieß, als jammerte er über den Hingesunkenen, verstellte Klagelaute aus, und sagte mit gehobener Stimme zum großen Manne, der vorüberging, dieser Unglückliche sei plötzlich vom Tode erfaßt worden und liege nun von Allem entblößt da und es fehle ihm das Nöthige zur Beerdigung. Er bat also den großen Mann, ihm den letzten Liebesdienst nicht zu verweigern, sondern seiner Armuth sich zu erbarmen und nach Kräften es zu ermöglichen, daß er mit dem letzten Schmuck umhüllt werde. Mit diesen und ähnlichen Worten flehte er ihn an. Er aber warf ohne Zaudern den Mantel, den er trug, auf den Liegenden hin und setzte seinen Weg fort. Als aber nach seiner Entfernung Die, welche diesen Spaß mit ihm veranstaltet hatten, wieder allein waren, schlug jener Betrüger statt der verstellten Jammerlaute ein helles Gelächter auf und hieß seinen Kameraden aufstehen, vor Freude über den durch den Betrug erlangten Gewinn jubelnd. Aber dieser blieb in der gleichen Stellung und vernahm die Worte nicht. Und als der andere lauter seine Stimme erhob und zugleich mit dem Fuß ihn S. 542 aufzuwecken suchte, so hörte der Liegende dessen ungeachtet weder die Stimme, noch fühlte er den Stoß, sondern blieb in gleichem Zustand ausgestreckt. Denn er war eine Leiche und zugleich mit dem Umwerfen des Mantels in Wirklichkeit dem Tode verfallen, den er nachgeäfft hatte, um den großen Mann zu hintergehen, so daß der Mann Gottes nicht als ein Betrogener erschien, sondern der Mantel den Empfängern zu dem Zwecke diente, zu dem er ihnen denselben gegeben hatte.
Sollte aber ein solches Werk des Glaubens und der Macht des großen Mannes schauerlich dünken, so möge es Niemand befremdend finden, indem er auf den großen Petrus schaut. Denn auch dieser zeigte nicht bloß durch Wohlthun die ihm verliehene Macht, indem er bewirkte, daß der Lahmgeborne vor dem Volke gerade einherging und aufsprang,2 oder indem er durch den Schatten seines Körpers die Kranken heilte, auf welche beim Vorbeigehen des Apostels die Sonne den Schatten warf,3 sondern er verurtheilte auch den Ananias, welcher vor der dem Apostel verliehenen Macht keine Achtung hatte, zum Tode,4 damit, wie ich glaube, durch die an Jenem erregte Furcht Alle aus dem Volke, die ihn verachteten, durch das furchtbare Beispiel weiser würden und sich abschrecken ließen, der gleichen Gesinnung zu huldigen. Mit Recht hat also der Nachahmer des Petrus, nachdem er die Größe seiner Macht durch viele wohlthätige Wunder gezeigt hatte, Den, welcher gegen den Geist sich des Betruges bedienen wollte, genöthigt, gegen ihn wahr zu sein. Denn es mußte, glaube ich, der Vernichter der Lüge auch im Betrüger die Lüge in Wahrheit umwandeln, damit Allen dadurch offenbar würde, daß auch jedes Wort des großen Mannes wahr gewesen, und was er als wahr annahm, keine Lüge war. Die Juden also, welche in der angeführten Weise, wie sie glaubten, S. 543 die Macht des großen Mannes verspottet hatten, wurden Andern zum warnenden Beispiele, keinen Betrug zu wagen, da Gott selbst Ankläger ihrer vermessenen Unternehmung wurde.
