6.
Es sei hiebei verzichtet auf jedes künstlerische Verfahren der Schriftsteller, die ausserordentlichen wundervollen Begebenheiten durch rednerischen Aufputz zu vergrößern. Es ist ja in dem Erzählten das Wunder nicht so beschaffen, daß es durch die Kraft des Redners kleiner oder größer würde. Denn was könnte man ausser dem Erzählten sagen, um das Wunder größer erscheinen zu lassen? Wie könnte man bei den Zuhörern die Verwunderung über das Geschehene vermindern? Ein Stein macht von den Steinen1 Die abwendig, welche den Steinen unterworfen sind; ein Stein wird Verkünder des göttlichen Glaubens und für die Ungläubigen Wegweiser zum Heile nicht durch irgend eine Stimme und Rede die göttliche Macht verkündend, sondern durch die That den von Gregor verkündeten Gott offenbarend, dem jedes Geschöpf in gleicher Unterwürfigkeit dient, so daß nicht bloß Alles, was Empfindung, Athem und Leben hat, sondern wenn auch Etwas hieran nicht Theil nimmt, es so den Auftrag vom Diener hinnimmt, als wenn es nicht ohne Empfindung wäre. Denn welches Gehör hat der Stein? Wie vernimmt er den Machtspruch des Befehlenden? Worin hat er das Vermögen, seine Stelle zu S. 524 verändern? Was hat er für Glieder und Gelenke? Aber alles Dieß und Ähnliches wird bei dem Steine durch die Macht des Befehlenden ersetzt. Auf diese sah jener Tempeldiener und erkannte und verabscheute den Betrug der Dämonen in der Verführung der Menschennatur, und bekehrte sich zum wahren Gott, indem er aus Dem, was vom Diener geschah, auf die unaussprechliche Macht des Herrn schloß. Denn wenn die Macht des Dieners so groß ist, daß er durch ein Wort das Bewegungslose in Bewegung setzt, und den empfindungslosen Gegenständen gebietet und an leblose Dinge seinen Befehl ergehen läßt, was für eine übergroße Macht muß man am Herrn des Weltalls annehmen, dessen Wille so zu sagen Materie und Form und Kraft der Welt selbst und aller Dinge in der Welt und über der Welt geworden ist? Daher begann dieser große Mann mit seinem Sieg über die Dämonen, und indem er gleichsam als Siegeszeichen gegen die Besiegten den Tempeldiener mit sich herumführte und das Volk durch seinen Ruf im Voraus in Staunen versetzte, betrat er in dieser Weise mit Vertrauen und Zuversicht schon die Stadt, nicht auf Wagen, Pferde, Maulesel und zahlreiches Gefolge pochend, sondern ringsum von Tugenden umgeben. Da nun alle Bewohner der Stadt in Masse hinausströmten, wie um ein neues Schauspiel zu betrachten, und da Alle zu sehen wünschten, wer dieser Gregor sei, der, obschon nur ein Mensch, über die bei ihnen verehrten Götter eine Macht wie ein König übe, indem er durch ein Wort die Dämonen, wohin es ihm beliebe, bringe und versetze, und nach Belieben sie wie Sklaven, wo er wolle, austreibe und zurückbringe, und er führte jenen Diener mit sich, wie Einen, den er seiner Macht unterworfen, welcher die Ehre, in der er früher stand, gering achtete und seinem ganzen Besitze den Verkehr mit ihm vorzog, als mit solchen Vorstellungen ihn Alle vor der Stadt erwarteten und bei seinem Erscheinen Alle unverwandt auf ihn blickten, ging er an den Menschen wie an leblosen Gegenständen vorbei, ohne sich zu einem der Begegnenden zu wenden, und schritt gerade S. 525 auf die Stadt zu. Da erregte er noch mehr Verwunderung und schien Denen, welche ihn sahen, größer als sein Ruf. Denn daß er beim ersten Besuch einer großen Stadt, da er zuvor niemals an eine solche gewöhnt war, beim Zusammenströmen einer so großen Volksmenge um ihn herum die Gemüthsruhe nicht verlor, sondern wie durch eine Wüste schreitend bloß auf sich und den Weg seine Aufmerksamkeit lenkte und zu Keinem der ihn Umringenden sich wendete, dieß schien den Leuten ein größeres Wunder als das mit dem Steine gewirkte zu sein. Obschon, wie im Vorhergehenden gesagt worden ist, Die, welche vor seinem Episkopate den Glauben angenommen hatten, sehr Wenige waren, so war er deßhalb doch bei seinem Einzug in die Stadt von allen Seiten von Begleitern in einer Weise umringt, als ob die ganze Stadt seine Bischofswürde hätte ehren wollen.
Da er aber, sobald er sich der höheren Lebensweise hingab, sich zugleich von Allem wie von einer Last befreit hatte, so besaß er nichts von Dem, was zum Leben nothwendig ist, weder einen Acker noch eine Heimath noch ein Haus, sondern er war sich selbst Alles, oder vielmehr die Tugend und der Glaube waren ihm Vaterland, Herd und Reichthum. Als er nun in der Stadt war und nirgends ein Haus hatte, um auszuruhen, weder als Eigenthum der Kirche noch als Privateigenthum, und seine Begleiter in ängstlicher Sorge waren, weil sie nicht wußten, wo er zukehren und bei wem er ein Obdach finden sollte, sagte der Meister zu ihnen: „Wie wenn ihr ausserhalb des Obdaches Gottes wäret, seid ihr um einen Ruheort für den Körper besorgt. Scheint euch Gott ein kleines Haus zu sein, wenn wir in ihm leben, uns bewegen und sind?2 Oder ist es euch zu enge unter dem himmlischen Obdach, und ihr suchet ausser diesem eine andere Herberge? Ein Haus liege euch am Herzen, das eines Jeden Eigenthum ist, das in den S. 526 Tugenden sich aufbaut und in die Höhe steigt. Nur der Gedanke bereite euch Kummer, es möchte dieses Haus uns nicht gut eingerichtet sein. Denn die schützenden Wände aus Erde bringen Denen, welche tugendhaft leben, keinen Gewinn. Eher aber suchen natürlich Die, welche im Schmutze des Lasters leben, den Schutz der Wände, weil das Haus oft dazu dient, eine geheime Schande zu verdecken, während für Die, welche ein tugendhaftes Leben führen, die Wände Nichts zu verhüllen brauchen.“ Als er sich so gegen seine Begleiter herausließ, trat ein durch Geburt und Reichthum hervorragender Mann, der auch ausserdem durch sein Ansehen zu den Ersten zählte, Musonius mit Namen, zum Manne hinzu, und da er wahrnahm, daß Mehrere nach der nämlichen Ehre strebten, den Mann in ihr Haus aufzunehmen, so kam er den Übrigen zuvor und riß diese Gunst an sich, indem er den großen Mann bat, er möge seine Gastfreundschaft annehmen und mit seiner Einkehr seinem Hause Ehre erweisen, damit er angesehener und auch bei der Nachwelt berühmt würde, wenn auch den Nachkommen die Erinnerung an eine solche Ehre erhalten bliebe. Da aber auch viele Andere herbeieilten und um das Gleiche flehten, so schien es ihm gerecht zu sein, die Gunst Dem zu gewähren, der sich zuerst angeboten, und er kehrte, nachdem er den Übrigen mit freundlichen und ehrenden Worten gedankt hatte, bei Dem ein, der ihm zuvorgekommen war.
Wenn die Schilderung seiner Thaten bloß erzählend und kunstlos ist, da unsere Rede die Vergrößerungen der Thaten auf künstlichem Wege geflissentlich unterläßt, so dürfte sie für die Urtheilsfähigen kein geringer Beweis sein, daß wir keineswegs die Wunder des Gefeierten absichtlich vergrößern, sondern daß uns die Erinnerung seiner Thaten zum vollendetsten Lobe genüge, wie eine natürliche Schönheit, welche ohne Anwendung der Verschönerungskunst im Antlitz strahlt. Während die Zahl Derer, welche zuvor im Worte unterrichtet worden, eine geringe war, so schloßen sich bei der ersten Begegnung, bevor der Tag verflossen und S. 527 die Sonne untergegangen war, so Viele an, daß die Zahl der Gläubigen hinreichte, um eine Gemeinde zu bilden. Es wurde Morgen, und wieder erschien das Volk an den Thüren mit Frauen, Kindern und Greisen und Solchen, die durch Dämonen oder sonst einen Unfall am Körper verunglückt waren, und mitten unter ihnen bewegte sich der Heilige, indem er sich jedem der Versammelten nach dessen Bedürfniß in der Kraft des Geistes hingab, predigend, gemeinsam untersuchend, mahnend, lehrend, heilend. Denn durch diese Predigt3 gewann er vorzugsweise die Menge, weil das Gesicht mit dem Gehör zusammenwirkte und durch Beides die Kennzeichen der göttlichen Macht an ihm erglänzten. Denn auf das Gehör wirkte die Rede, auf das Gesicht aber machten die Wunder an den Kranken einen mächtigen Eindruck. Der Trauernde wurde getröstet, der Jüngling gebessert, der Greis durch angemessene Reden geheilt, die Sklaven zur Liebe gegen ihre Herren, die Herrschenden zur Menschlichkeit gegen ihre Untergebenen ermahnt, der Arme belehrt, daß es nur einen Reichthum, die Tugend, gebe, deren Erwerbung in Jedermanns Macht steht. Der sich mit seinem Reichthum brüstete, wurde in entsprechender Weise gemahnt, sparsam mit seinem Besitze umzugehen, und ihm zu verstehen gegeben, daß er davon nicht Eigenthümer sei. Indem er den Frauen zutheilte, was ihnen entsprach, den Kindern, was ihnen angemessen war, den Vätern, was sich für sie geziemte, und Allen Alles wurde, zog er durch die Mitwirkung des Geistes sogleich so viel Volk an sich, daß er sich daran machen konnte, einen Tempel zu erbauen, indem Alle ihm Geld und Handarbeit zu diesem Zwecke anboten. Dieß ist der Tempel, den Jener zu bauen anfing und einer seiner Nachfolger in würdiger Weise verschönerte, der gegenwärtig noch gezeigt wird, den dieser große Mann sogleich als Stütze und Grundlage seines Priesteramtes an dem höchsten Punkte der Stadt zu errichten S. 528 begann und wie mit göttlicher Kraft ausbaute, wie die folgende Zeit es beweist. Denn als einst in unseren Zeiten in der Stadt ein großes Erdbeben eintrat und beinahe Alles von Grund aus vernichtet wurde, indem alle öffentlichen und Privatgebäude einstürzten und verwüstet wurden, da blieb jener Tempel allein unbeschädigt und unerschüttert, so daß auch daraus deutlich hervorgeht, mit welcher Macht dieser große Mann an seine Unternehmungen ging. Aber Dieß wurde viel später zum Zeugniß für den Glauben des Großen von der göttlichen Macht bewirkt.4
Als damals alle Bewohner der Stadt und der Umgegend über seine apostolischen Wunder mit Staunen erfüllt waren und glaubten, daß alle seine Reden und Thaten von einer göttlichen Kraft vollbracht und gesprochen würden, so glaubten sie auch nicht, daß es für sie in weltlichen Streitigkeiten einen anderen berechtigteren Richterstuhl geben könne, sondern jede Streitfrage und jede schwer zu entwirrende Verwicklung wurde durch seine Rathschläge gelöst. So wurde ein guter gesetzlicher Zustand und Friede Allen insgemein und jedem Einzelnen insbesonders durch ihn zu Theil und groß war der Fortschritt im Guten, im Privatleben wie im öffentlichen, da keine Bosheit die gegenseitige Eintracht störte. Es dürfte vielleicht nicht ungeeignet sein, nur eine Entscheidung von ihm anzuführen, damit uns nach dem Sprüchwort aus dem Saume das ganze Gewebe bekannt werde. Denn auch der heiligen Schrift genügte es, da Salomo seinen Untergebenen viele Urtheilssprüche ertheilte, durch einen einzigen die Einsicht des Mannes uns darzustellen, als er über zwei Mütter zu Gericht sitzend, weil man das Unrecht nicht nachweisen konnte, da jede das todte Kind von sich wies und auf das lebende Anspruch machte, die verborgene Wahrheit durch eine List zu entdecken beschloß. S. 529 Denn da das Unrecht nicht bezeugt war und die Muthmaßung der Lüge und Wahrheit auf beiden Seiten sich das Gleichgewicht hielt, so zog er die Natur zur Bezeugung der Wahrheit heran, indem er unter verstellter Drohung seine wahre Absicht verbarg. Indem er nämlich den Befehl gab, das lebende und todte Kind5 mit dem Schwerte in zwei gleiche Theile zu theilen und beiden die Hälften der Kinder zu geben, überantwortete er der Natur die Entscheidung der Wahrheit. Denn als die Eine ohne Widerrede den Befehl aufnahm und den Henker herbeirief, die andere aber, in ihren mütterlichen Eingeweiden bewegt, sich für besiegt erklärte und um Schonung für das Kind bat, ― denn sie gab sich zufrieden, wenn das Kind auf was immer für eine Weise am Leben erhalten würde, ― so sah der König hierin ein Kennzeichen der Wahrheit und sprach Derjenigen den Sieg zu, die sich freiwillig für besiegt erklärte, indem er schloß, daß Die, welche die Ermordung des Kindes gleichgiltig hinnahm, von der Natur angeschuldigt werde, daß sie auch nicht Mutter desjenigen sei, auf dessen Tod sie dringe.
