3.
Dieß erzählt man von der Jugend des großen Mannes, und es ist wahrhaft ein würdiger Anfang für sein späteres Leben, ist so wunderbar, daß, wenn man Nichts weiter hinzufügen könnte, deßhalb allein keiner von Denen, welche durch Tugend sich hervorgethan haben, mehr Lob verdienen würde. Reich, jung, hielt er sich im Ausland in einer volkreichen Stadt auf, in welcher wegen der ausgelassenen Lebensweise der Jugend die Reinheit der Sittsamen bei den Zügellosen als Schmach galt. Ohne daß eine Mutter um sein Leben emsig besorgt war, ohne daß ein Vater die Schritte seines Lebens lenkte, brachte er es durch Fernehaltung von der Leidenschaft in der Tugend so hoch, daß er Den, der S. 513 Alles lenkt, zum Zeugen seines Wandels machte, durch den schweren Schlag das Weib der Verleumdung überführte. Und was könnte man noch Größeres als Gegenstand einer Lobrede ersinnen? Wie könnte man nach Verdienst ihm Bewunderung zollen, der durch die Vernunft die Natur bezwang und gleich einem zahmen Thiere seine Jugend in das Joch der Besonnenheit spannte und die Regung aller natürlichen Leidenschaften besiegte und, indem er den Neid, welchem alles Gute verfällt, sich zuzog, auch diesen bemeisterte, so daß er sich gegen die Nachstellung seiner Kameraden nicht einmal zur Wehr setzte und Jener, welche ihnen zu seiner Beschimpfung dienstbar war, eine Wohlthat erwies und sie von dem bösen Feinde durch Gebet befreite? So wird uns in der Geschichte auch Joseph geschildert, dem es frei gestanden wäre, mit der Frau seines Herrn Unerlaubtes zu thun, da sie selbst von rasender Liebe zum schönen Jüngling erfüllt war, und kein Mensch als Zeuge ihres Frevels zugegen gewesen wäre. Aber auch er scheute sich vor dem Auge Gottes und wollte lieber schlecht scheinen, als schlecht sein, lieber die Strafe eines Bösewichtes leiden, als wie ein Bösewicht handeln. Aber vielleicht hat dieser mehr Grund, sich zu rühmen, als Joseph in der heiligen Geschichte; denn leichter hält man sich von Befleckung rein, wenn es sich, wie dort, um ein Verbrechen wie Ehebruch handelt, als wenn man den Vorwurf einer geringeren Verirrung sich aufzubürden glaubt. Der also da, wo von den Gesetzen Nichts zu besorgen war, die bloße aus der Sünde entspringende Lust für sich allein mehr fürchten zu müssen glaubte, als die Strafe, hat entweder den Joseph in der Großartigkeit des Wunders übertroffen, oder wird wenigstens ihm nicht nachgesetzt werden können. So war nun der Anfang seines Lebens beschaffen, wie aber sein Leben selbst? Als er mit der ganzen heidnischen Philosophie sich bekannt gemacht hatte und einen gewissen Firmilian, einen vornehmen Kappadocier, kennen lernte, der ihm an Sitten gleich war, wie er durch sein späteres Leben zeigte, da er eine S. 514 Zierde der Kirche von Cäsarea wurde,1 und als er die Richtung seiner Gesinnung und seines Lebens dem Freunde offenbarte, daß nämlich seine Augen auf Gott gerichtet seien, und als er sah, daß sein Verlangen ihn zum gleichen Streben ansporne, da verließ er ganz das Studium der heidnischen Weisheit und schloß sich mit ihm dem damaligen Haupte der christlichen Weisheit an. Dieß aber war Origenes, der berühmte Schriftsteller. Er zeigte dadurch nicht bloß seine Liebe zur Wissenschaft und Arbeit, sondern auch die Demuth und Bescheidenheit seines Herzens. Denn obschon er bereits von solcher Weisheit erfüllt war, verschmähte er es doch nicht, sich eines Lehrers in den göttlichen Wissenschaften zu bedienen, und nachdem er bei dem Lehrer eine entsprechende Zeit der Wissenschaft gelebt hatte, und ihn Viele einluden und im fremden Lande zurückzuhalten suchten, und in ihn drangen, bei ihnen zu bleiben, so zog er doch seine Heimath Allem vor und kehrte wieder in sein Vaterland zurück, wohin er den vielfältigen Reichthum an Weisheit und Kenntnissen mit sich führte, den er in der profanen Wissenschaft bei seinem Verkehr mit allen berühmten Männern, wie ein Handelsmann, eingehandelt hatte.
Auch das wird Dem, welcher nach Fug und Recht die Sache beurtheilt, gewiß kein geringer Beitrag zu seinem Lobe dünken, daß er dem nachdrücklichen gemeinsamen Flehen einer Stadt nicht nachgab, und den Bestrebungen aller hervorragenden Männer in derselben, ihn zurückzuhalten und den Wünschen der Ortsbehörden, die ebendahin gingen, sich nicht fügte. Diese beabsichtigten insgesammt, daß dieser große Mann bei ihnen bleiben und gleichsam ein Begründer der Tugend und Gesetzgeber des Lebens werden sollte. Er aber floh vor jeder Veranlassung zum Hochmuth, da er wußte, daß die Leidenschaft des Stolzes gewöhnlich die S. 515 Quelle eines schlechten Lebenswandels sei, und zog sich, wie in einen Hafen, in das ruhige Leben in seiner Vaterstadt zurück. Da aber alles Volk seine Blicke auf den Mann warf, und Alle erwarteten, er werde in öffentlichen Versammlungen seine Gelehrsamkeit kund geben, um für seine langen Bemühungen einige Frucht in dem daraus erwachsenden Ruhme zu ernten, so erkannte der große Mann wohl, wie die wahre Philosophie von ihren gründlichen Verehrern kundgegeben werden müsse, damit die Seele niemals von Ehrsucht verwundet werde; denn das Lob der Zuhörer übt einen mächtigen Einfluß, um durch Stolz und Ehrsucht die Spannkraft der Seele zu locken. Deßhalb lehrt er sie durch Schweigen und gibt den in ihm wohnenden Schatz durch die That, nicht durch Worte zu erkennen, und indem er sich vom Lärm der Menschen und überhaupt vom Aufenthalt in der Stadt zurückzog, lebte er in einem verborgenen Winkel für sich allein im Verkehr mit Gott, wenig bekümmert um die ganze Welt und was in ihr vorging. Er mischte sich nicht in die Angelegenheiten der Könige, kümmerte sich nicht um die Handlungsweise der Behörden, hörte keine Vorträge über Verwaltung des Staates, sondern indem er darüber nachdachte, wie seine Seele durch die Tugend vervollkommnet würde, verwendete er hierauf die ganze Thätigkeit seines Lebens, und durch die Verzichtleistung auf alle weltlichen Dinge erschien er geradezu in unserer Zeit als ein zweiter Moses, der mit dessen Wundern sich in einen Wettstreit einließ. Beide, Moses und Gregor, verließen, jeder zu seiner Zeit, dieses unruhige und geräuschvolle Leben, und lebten in der Einsamkeit, solange beiden durch göttliche Offenbarung der Gewinn des reinen Lebens sich kundgab. Moses hatte jedoch bei seinem Streben nach Vollkommenheit eine Gattin, Gregor aber machte zu seiner einzigen Lebensgefährtin die Tugend. Da nun Beide das gleiche Ziel verfolgten, denn Beide hatten, wenn sie sich von der Menge trennten, die Absicht, mit dem reinen Auge der Seele die göttlichen Geheimnisse zu betrachten, so kann Der, welcher die Tugend richtig zu schätzen versteht, S. 516 beurtheilen, welcher von Beiden in seinem Leben mehr von Leidenschaft frei gewesen ist, Der, welcher den gesetzlich erlaubten Genuß des Vergnügens sich gestattete, oder der sich über ihn erhob und der sinnlichen Leidenschaft bei sich keinen Eingang gewährte.
Da aber in dieser Zeit Phädimus die Kirche der Amasäer2 leitete, der von Gott durch den heiligen Geist eine gewisse Sehergabe besaß und Alles aufbot, um den großen Gregorius zu gewinnen und ihm die Aufsicht über die Kirche zu übertragen, damit nicht ein so hochbegabter Mann unthätig und nutzlos sein Leben hinbrächte, so suchte dieser, als er das Vorhaben des Priesters merkte, die Verborgenheit und begab sich anderswohin in eine andere Einsamkeit. Als nun jener große Phädimus alles Mögliche versucht und durch alle Mittel und Kunstgriffe nicht vermocht hatte, den Mann zur Annahme des Priesterthums zu bewegen, der mit hundert Augen auf seiner Hut war, um nicht etwa von der Hand des Priesters erreicht zu werden, und Beide wie in einem Wettkampfe rangen, indem der Eine zu erhaschen suchte, der Andere aber dem Verfolger zu entkommen strebte, ― denn der Eine wußte, daß er Gott ein heiliges Weihgeschenk zuführen würde, der Andere aber fürchtete, es möchte ihm die Sorge des Priesterthums, wenn sie auf seinem Leben lastete, ein Hinderniß in der höheren Lebensweise (φιλοσοφία) [philosophia] sein, ― so erhob sich Phädimus in diesem seinem Streben zu höherem göttlichen Schwunge, und ohne auf den Zwischenraum zu achten, der ihn von Gregor trennte, welcher drei Tagreisen von ihm entfernt war, und indem er beim Aufblick zu Gott voraussetzte, daß sowohl er selbst als auch Jener in jener Stunde von Gott gesehen würde, wendete er bei Gregor statt der Händeauflegung das Wort an, indem er den körperlich Abwesenden Gott heiligte und ihm jene Stadt übertrug, die bis dahin so sehr in den S. 517 Götzenwahn verstrickt war, daß unter den unzähligen Bewohnern der Stadt selbst und der Umgegend sich nicht mehr als siebenzehn fanden, die das Wort des Glaubens angenommen hatten.
