2.
Was ihnen nicht paßt, lassen sie unbeachtet und klammern sich an die Stelle an: „Das Wort ist Fleisch geworden“1. Wenn also das Wort Fleisch geworden ist, so ist es nunmehr Fleisch und nicht mehr Wort. Wenn es bei seiner Herabkunft in die Welt aus seinem bisherigen Wesen zu einem anderen geworden ist, so ist ihm also eine Zeit gekommen, wo das Wort anfing verloren zu gehen und nur das Fleisch übrig blieb. [100] Wenn das Wort zu Fleisch geworden ist, so ist das Wort vom Fleische verschlungen worden, und hinfort ist dann das Wort nicht mehr vorhanden, sondern besteht nur noch das Fleisch. Siehe, damit hast du deinen Schöpfer zu einem Geschöpfe gemacht und ihn gelästert. Ein Arianer ist besser als du und Marcion dir vorzuziehen. Denn Arius erweist ihm mehr Ehre als du, [110] und Marcion schätzt ihn höher ein als du, Elender! Arius bekennt ihn nämlich als den Schöpfer des Alls, ohne ihn wie du zu verwandeln und hin- und herzuzerren. Auch Marcion nennt ihn den Gütigen und erniedrigt ihn nicht wie du. Jene will ich damit nicht etwa loben, denn sie sind ja Verlorene gleich dir, [120] S. 119 aber durch die Vergleichung mit ihnen erscheint deine Schmach um so größer, o Sohn der Kirche, der du deine Mutter hassest!
Du rufst immer: „Das Wort ist Fleisch geworden“2, aber das Folgende: „Und hat unter uns gewohnt“ wird dir Schwierigkeiten bereiten. Siehe, er sagt: „Es ist Fleisch geworden“; wie kann er nun doch hinzufügen: „Und es hat unter uns gewohnt?“ Das Fleisch kann doch nicht im Fleische wohnen, das Gebein nicht im Gebeine weilen. Wie kann das Fleisch wohnen und weilen in dem, was gleich ihm selber Fleisch ist?3 [130] Wenn es sich so verhält, so lasse Maria nur gleich aus der Sache hinweg; denn sie wäre dann überflüssig. Nichtig wäre der Ruhm Evas, daß ihr Haupt durch Maria wieder erhöht sei, und zur Lüge würde gemacht die Erlösung des gesamten Geschlechtes Adams4.
O Johannes, wie verhält es sich doch mit diesem umstrittenen Wort, das du da aufgegriffen und niedergeschrieben hast? Erkläre uns diese Stelle, auf die man sich so viel beruft! [140]
S. 120 „Er5, welcher das Wort ist, hat Fleisch angenommen und unter uns gewohnt. Wort war er von Anbeginn, aber den Leib hat er erst jetzt angenommen. Sein göttliches Wesen war beim Vater, aber seine Menschheit hat er von uns empfangen. Ich sagte, daß alles durch ihn geworden ist, als er noch keinen Leib hatte. Allmählich habe ich ihn dir nach seinen verschiedenen Daseinsweisen geschildert, damit dein Sinn nicht verwirrt werde. [150] Erst erzählte ich dir von seiner Gottheit und alsdann von seiner Menschheit. Ich erwähnte jenes Frühere, damit er nicht für geringer gehalten werde als der Vater, und verknüpfte es alsdann mit seiner Menschwerdung, damit er nicht als unserem Geschlechte fremd erachtet werde. Ich sagte, daß auch nicht ein einziges Ding ohne ihn seinen Bestand erhalten hat. Nachdem ich ihn so als Schöpfer nachgewiesen hatte, zeigte ich dir zuletzt seinen Leib, [160] damit weder der, welcher seine Menschheit sieht, seine schöpferische Allmacht leugne, noch der, welcher seine Gottheit erwägt, seine menschliche Natur verkenne. Denn ich habe in meinen Schriften das Himmlische mit dem Irdischen verbunden, damit der Leser die zwei voneinander verschiedenen Naturen erkenne und nicht verwirrend das Göttliche seiner Menschheit [170] noch lästernd das Menschliche seiner Gottheit zuschreibe. In diesem Sinne habe ich das aufgezeichnet, was ich über seine Gottheit und seinen Leib gesagt, um, nachdem ich zuvor von beiden im einzelnen geredet hatte, schließlich ihre Einheit zu schildern mit den Worten: „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen wie die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater.“
Wenn nun aber, wie du behauptest6, das Wort Fleisch geworden, verändert und verwandelt ist, [180] S. 121 so nimm nur das Göttliche hinweg und entferne von ihm das dem unendlichen Wesen Angehörige! Denn wenn es in Fleisch verwandelt ist, wie kann es dann bleiben, was es zuvor war? Wenn es sich verändert hat und etwas anderes geworden ist, so muß das, was es abgelegt hat, verloren gegangen sein, und Christus wäre dann nicht mehr Gott, sondern weiter nichts als ein bloßer Mensch. Wo bleiben aber dann jene erhabenen Dinge, die er uns in seinem Testamente verheißen hat? [190] Wenn damals7 eine Verwandlung stattgefunden hat, so muß notwendigerweise von da an die eine Natur verloren gegangen sein. Denn wenn du sagst, er sei nur Gott, so widerlegen dich seine menschlichen Werke, und wenn du sagst, er sei nur Mensch, so überführen dich seine göttlichen Taten. In welchen Schlupfwinkel willst du dich nun verkriechen, o du, der du unschlüssig am Scheidewege stehst! Auf welche von beiden Seiten willst du dich schlagen8 o du, der du deinen eigenen Vorteil verkennst? [200] Wenn du auf den Ausdruck: „Er ist Fleisch geworden“ pochst9, so wird dir seine Gottheit zu einem Stachel; umgekehrt, wenn du mir sagst, er sei nur Gott, so macht dich seine Menschheit stumm. Derselbe, welcher vom Worte geschrieben hat, es sei Fleisch geworden und habe unter uns gewohnt, der hat uns auch geschrieben, daß kein Mensch Gott je gesehen habe10. Wenn nun aber das Wort verwandelt worden wäre, so würde unsere Ver- S. 122 kündigung lügenhaft sein. [210] Denn wenn Gott in Fleisch umgewandelt worden wäre, so würde jeder Mensch Gott haben schauen können. Wenn er nicht durch etwas seiner göttlichen Natur Fremdes vor dem Blick verhüllt worden wäre, so hätte ja jeder Mensch ohne weiteres Gott gesehen. Wäre nicht bei seiner Geburt etwas nicht zu seiner göttlichen Natur Gehöriges an ihm gewesen, wie hätte dann Johannes schreiben können, daß niemand Gott je gesehen habe? [220]
Für ihre Leugnung der zwei Naturen in Christo beriefen sich die Eutychianer besonders auf Joh. 1, 14. Aus dieser Stelle folgerten sie, der Logos habe nicht etwa eine menschliche Natur in hypostatischer Einheit mit sich verbunden, sondern seine bisherige rein göttliche Natur sei in Fleisch, das heißt in die Menschheit umgewandelt worden. Isaak folgert nun hieraus, daß sie die Gottheit Christi leugnen müssen und dies mit Recht; denn die von den Eutychianern angenommene gemischte gottmenschliche Natur ist wegen der absoluten Einfachheit und Unveränderlichkeit Gottes eine logische Unmöglichkeit. ↩
Isaak deutet hier den johanneischen Satz: „Das Wort hat unter uns gewohnt“ nicht vom Verweilen Christi unter den Menschen im allgemeinen, sondern vom Einwohnen des Logos in seiner eigenen menschlichen Natur. Aus dieser Auffassung beweist er nun das unveränderliche Fortbestehen beider Naturen. Denn wenn bei der Inkarnation die Gottheit bereits in die Menschheit verwandelt worden wäre, so könnte ihr nicht nochmals ein Wohnen in der Menschheit zukommen. ↩
Wenn in Christus nur eine Natur wäre und seine Menschwerdung auf einer Umwandlung des Logos in das Fleisch beruhte, so wäre seine Geburt aus der hl. Jungfrau zwecklos und überflüssig. Denn diese setzt voraus, daß der Logos eine vollkommene menschliche Natur von Maria angenommen habe. In der Tat soll Eutyches behauptet haben, Christus habe sein Fleisch vom Himmel mit sich herabgebracht, dasselbe sei dem unsrigen nicht, gleichartig und er sei nur wie durch einen Kanal durch Maria hindurchgegangen. ↩
Weil Christus dem Vater nur unter der Voraussetzung, daß er selbst dem menschlichen Geschlechte wahrhaft angehörte, Genugtuung für unsere Sünden leisten und uns erlösen konnte. ↩
In diesem Abschnitt wird der hl. Evangelist Johannes redend eingeführt, um sich gegen die falschen Schlüsse zu verwahren, welche die Eutychianer aus dem Satze, „Das Wort ist Fleisch geworden“ zogen. ↩
Von hier an redet wieder der Dichter zu Eutyches und seinen Anhängern, indem er ihnen beweist, daß sie bei ihrer falschen Lehre von einer Umwandlung des Logos in das Fleisch notwendigerweise die Gottheit Christi leugnen müssen. ↩
d. h. bei der Menschwerdung ↩
Die einzige Natur Christi, die du annimmst, kann nur entweder eine rein göttliche unter Ausschluß der Menschheit oder eine rein menschliche unter Ausschluß der göttlichen Würde sein; denn eine aus beiden gemischte Natur ist ein Unding. Für welche von diesen beiden Blasphemien willst du dich nun entscheiden? ↩
D. h. nach deiner falschen Auslegung desselben behauptest, der Logos habe sich in Fleisch verwandelt, sei mithin bloßer Mensch. ↩
Johannes lehrt auch in seinem Evangelium (1, 18), niemand habe Gott je gesehen. Dies wäre aber nicht wahr, wenn Christus nicht eine besondere menschliche Natur hätte, sondern die Inkarnation nur in der Umwandlung des Logos in Fleisch bestände. Denn dann würde das Sichtbare an Christus nichts anderes sein als die allerdings umgewandelte Gottheit. ↩
