5.
So gib doch eine Deutung dieser Heerschar von Stellen, welche dich umringen! Hat doch Johannes so geschrieben auf Antrieb des Hl. Geistes, [400] er, der vom Worte erzählt hat, es sei Fleisch geworden und habe unter uns gewohnt! Mit seinen Worten willst du mich binden, aber ich werde sie als Stricke gegen dich benützen. Mit den Geißeln seiner Verse werde ich deinen Rücken solange voller Striemen schlagen, bis du die zwei Naturen bekennst, welche zu einer Person geworden sind. Was sagst du hierzu, du Tor, der du neue Lehren hervorsprudelst? [410] Abgeschmackt sind deine Reden, du Hasser deines eigenen Leibes und deines Geschlechtes! Auf welche Erlösung nach derjenigen, welche wirklich geschehen ist, willst du jetzt noch warten? Welche Auferweckungsstimme wird imstande sein, deinen Glauben wieder wachzurufen? Wenn unser Herr nicht wirklich unseren Leib angenommen hat, sondern zu etwas anderem geworden ist, wie du behauptest, zu welchem Zwecke hätte er dann, der Anfangslose, einen Anfang genommen? [420] Wenn es ihm möglich gewesen wäre, ohne Annahme unseres Leibes die Erlösung der Welt zu bewirken, warum würde er sich dann einer solchen Erniedrigung unterzogen haben, daß er von dem notwendigen Sein zum Werden herabstieg? Warum hätte er uns dann nicht lieber erlöst, indem er oben im Himmel geblieben wäre? Warum hätte es ihm dann noch nicht einmal genügt, daß er verwandelt worden und er, der Ungeschaffene, zum Geschöpf herabgesunken wäre, sondern hätte er noch obendrein Schmach erduldet von den Menschen, welche nicht wert waren, seine Füße zu berühren? [430]
Wir aber, o Brüder, wollen nicht bekennen nach dem Bekenntnisse der Irrgläubigen, wie jene, welche ihrem Leben die Hoffnung auf Leben abschneiden, indem sie den Leib, das Gewand unseres Herrn, leugnen und dabei doch noch auf eine Auferstehung hoffen! Wie S. 128 können doch ihre Leiber einst jenen Leib schauen, den sie hier verleugnet haben? Wie vermag der Sohn ihres Geschlechtes ihnen ihre Sünden zu vergeben? [440] Wie wird er sie nicht vielmehr mit Schmach überhäufen, da sie ihre eigene Ehre nicht einsehen wollten? Da sie selbst ihr eigenes Geschlecht nicht anerkennen wollten, so kann den Richter kein Tadel treffen. Da sie ihn nicht für den unsrigen erklären wollten, wie wird er sie für die Seinigen erklären können? Da sie sich dem ihrem Geschlechte Angehörigen gegenüber für fremd hielten, so wird auch er in ihnen die gemeinsame Natur verleugnen. Da sie ihn nicht als ihren Bruder bekennen wollten, so werden sie als Fremde betrachtet werden. [450] Da sie sich selbst von dem Schatze des Lebens ausgeschlossen haben, wer wird sich da zu ihnen bekennen? Da sie sich selbst gehaßt haben, so werden sie jenen nicht in ihrer Gestalt schauen, der sich in unsere Glieder gehüllt hat, um uns in seiner Barmherzigkeit heimzusuchen und uns selig zu machen, dessen Brüder wir sind nach seiner Menschheit und dessen Söhne nach seiner Gottheit. Wegen unseres Leibes ist er unser Bruder geworden, aber wegen seiner Allmacht ist er unser Vater. [460] Da er also in seiner Barmherzigkeit unsere Natur angezogen hat, so laßt uns seine Gnade nicht undankbar verkennen! Laßt uns zu ihm sagen: „Gelobt sei Deine Natur, welche sich unsere Natur auserwählt und in ihr gewohnt hat! Gelobt sei Dein Schatz, welcher sich nach Deinem Wohlgefallen unseren Leib zu seinem Schatzverwalter bestellt hat! Gelobt sei Dein Name, welcher unseren Namen1 angezogen hat, auf daß der unsrige durch den Deinigen wieder erlöst werde! Gelobt sei Dein Reichtum, welcher sich herabgesenkt hat, um in unserer Armut zu wohnen und uns zu bereichern! [470] Gelobt sei der, dessen Gemach unser Leib geworden ist, auf daß er seine Mitbrüder zu seinem Gemache berufen könne! Gelobt sei der, welcher seine Gabe den armseligen Leibern unseres Geschlechtes nicht vorenthalten hat! Laßt uns ihn und S. 129 den Vater, der ihn gesandt hat, und den Heiligen Geist dreifach preisen!“
Weil ich Dein Bild in meinen Schriften gemalt habe, so male auch Du Deine Herrlichkeit über meine Auferstehung! Und weil ich an Dich und an Deinen Leib geglaubt habe, so laß mich Dich in ihm schauen, wenn Du mich einst auferweckest! [480]
Es liegt hier die orientalische Anschauung zugrunde, wonach der Name eines Dinges zugleich das Wesen desselben bezeichnet. ↩
