4.
Johannes1, du Sohn der Unfruchtbarkeit, was sagst du denn über den, welchen du angekündigt hast? [320] Deine Worte mögen folgen auf die deines Namens- S. 125 genossen, und an Wahrheit mögen sie den Worten Petri gleichen!
„Siehe, nach mir kommt ein Mann, welcher vor mir war, weil er das Sein in sich hat“2. So nenne ihn doch entweder einen Mann und verschweige das Übrige, oder sage, daß er das Sein in sich hat, und laß das Erstere unerwähnt! Denn du verkündest ja zweierlei, entgegengesetzte Dinge; da wird dir niemand Glauben schenken wollen! Gleich von Anfang deiner Verkündigung an machst du dir die Menschen abgeneigt, [330] Verkündige ihn entweder als einen Menschen oder als einen Gott!
„Ich will nicht einige Zeit später meiner Verkündigung etwas Neues hinzufügen. Ich will nicht jetzt die eine und später die andere Hälfte lehren, damit man nicht nach seiner Taufe sage, er sei erst durch die Taufe vollendet worden. Deshalb sagte ich: Nach mir kommt der Mann, welcher vor mir war, weil er das Sein in sich hat. [340] Hierdurch tat ich auch in einem einzigen Satze seine Gottheit und seine Menschheit kund. Denn meine Geburt ist zwar seiner menschlichen Geburt vorhergegangen, aber schon vor meiner Geburt war er von Ewigkeit.“
Diesem Ausspruch gleicht jener andere, welchen Christus im Gebete zu Gott richtete3: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so möge der Trank des Todeskelches an mir vorübergehen: [350] aber nicht mein Wille geschehe, sondern Dein Wille, o Vater!“ Auch dieser Ausspruch beweist, daß er aus zwei Naturen besteht, indem er uns in ihm seine Gottheit und zugleich seine Menschheit zeigt. Seine Gottheit zeigt er uns durch die Worte: „Mein Vater, wenn es möglich ist“, seine S. 126 Menschheit aber durch die Worte: „aber nicht mein Wille“, [360] seine Gottheit, indem er Gott seinen Vater nannte, seine Menschheit, indem er betete und weinte. Er bewies dadurch, daß er Gott zum Vater habe, und zugleich auch, daß er mit dem Leibe bekleidet sei. Wie könnte er mit den Worten: „Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe“ seinen Willen erwähnen, wenn er, wie jene behaupten, umgewandelt worden wäre? Wenn nicht die eine Natur von der anderen angenommen, sondern das Wort zu Fleisch geworden wäre, [370] so würde aus den Worten: „aber nicht mein Wille“ folgen, daß der göttliche Sohn dem Vater untergeordnet wäre und der Erzeuger und der Erzeugte zwei verschiedene Willen hätten. Da aber die göttlichen Personen nur eine gemeinsame Natur und nur einen einzigen Willen haben, so kann dieser Wille, von dem er sagt: „Aber nicht mein Wille geschehe“, in seiner Gottheit keinen Platz finden. Übernimm also diesen zweiten Willen auf die Menschheit Christi und rede nicht wie Arius4, [380] sage auch nicht, das Wort sei zu Fleisch geworden, indem du es seiner Hülle beraubst wie Manes!5
Von allen Seiten her bist du nun widerlegt, und alle die von dir gelegten Netze haben sich in Fesseln für dich selbst verwandelt. Erwäge noch eine andere Stelle6: „Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu tun, sondern den Willen des Vaters“. Bist du so stark im Disputieren, daß du mir diese zwei Willen bezeichnen kannst? Denn wenn du behauptest, man dürfe dies nicht sagen, dann mußt du die göttliche Natur selbst zerteilen und zu sich selbst in Gegensatz bringen7. [390]
Ferner heißt es8: „Der Sohn ist nicht in die Welt S. 127 gekommen, um irgend etwas nach seinem eigenen Willen zu tun“. Willst du etwa wegen dieser Stelle seine göttliche Natur unter die Zahl der Geschöpfe herabsetzen wie ein Arianer? Beliebt es dir, ihn der Herrlichkeit der Gottheit zu entkleiden?
Der Dichter fordert nun Johannes den Täufer auf, für die beiden Naturen in Christus Zeugnis abzulegen. ↩
Vergl. Joh. 1, 27. Im folgenden stellt der Dichter den Täufer scheinbar darüber zur Rede, daß er von Christus Widersprechendes aussage. Dieser erklärt dann zu seiner Rechtfertigung, er habe damit die beiden Naturen Christi von Anfang an als solche bezeichnen wollen, damit man nicht etwa auf den Gedanken käme, Christus habe erst später, bei seiner Taufe, die göttliche Natur empfangen. Letztere Meinung wurde oft den Nestorianern zugeschrieben. ↩
Luk. 22, 42. ↩
Indem du den besonderen Willen Christi nicht seiner Menschheit, sondern dem Logos zuschreibst und dadurch die Gemeinschaftlichkeit des Willens und der Natur in der Trinität leugnest ↩
d. h. indem du die wahre Menschheit Christi leugnest. ↩
Vergl. Joh. 6, 30; 6, 38. ↩
Indem du den einen Willen für den des Vaters, den anderen für den des Logos erklärst. ↩
Vergl. Joh. 5, 19. ↩
