10.
Dieses Wunder ist „den Juden ein Ärgernis, den Heiden aber Torheit“. Was sagt der Apostel: „Wir aber verkünden Jesus Christus und zwar den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis, den Heiden eine Torheit, uns dagegen, den Geretteten, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit“1? Denn in dem getöteten Leib ist das Leben, in ihm die Erlösung, in ihm das Licht. In ihm geht der Herr zum Tode, unterhandelt mit ihm und befiehlt ihm, die Seelen aus „der Unterwelt und dem Tode“2 zu entlassen und ihm auszuliefern. Doch sieh, dieser ist darob bestürzt, geht zu seinen Helfershelfern und versammelt seine ganze Macht. Dann weist der Fürst der Bosheit die Handschrift vor und spricht: „Sieh, diese da haben meinem Worte gehorcht, sieh, wie die Menschen uns angebetet haben!“ Gott aber, „der S. 94 gerechte Richter“3, beweist auch hier sein Recht und spricht zu ihm: „Adam hat auf dich gehört und du hast alle Herzen in deine Gewalt bekommen. Die Menschheit folgte dir. Aber was soll denn mein Leib hier? Dieser ist sündenlos. Jener Leib des ersten Adam ist dir verfallen, die Handschrift hierfür hast du zu Recht. Mir aber bezeugen alle, daß ich nicht gesündigt habe. Ich schulde dir gar nichts. Daß ich der Sohn Gottes bin, bezeugen mir alle. Von Himmelshöhen her kam eine Stimme4 zur Erde und bezeugte: „Dieser ist mein geliebter Sohn; ihn höret“5. Johannes bezeugt: „Sehet, das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt“6. Ferner sagt die Schrift [von mir]: „Er hat keine Sünde getan, an ihm ward kein Trug gefunden“7. Wiederum: „Es kommt der Fürst dieser Welt, aber an mir wird er nichts finden“8. Und du selbst, Satan, gabst mir das Zeugnis, als du sagtest: „Ich weiß, wer Du bist, Du bist der Sohn Gottes“9. Und wiederum: „Was haben wir mit Dir, Jesus von Nazareth? Du bist gekommen, uns vor der Zeit zu quälen“10. Von drei Seiten also erhalte ich Zeugnis: Der Zeuge im Himmel oben läßt seine Stimme erschallen, die auf Erden geben mir Zeugnis, und du selbst bezeugst es. So kaufe ich denn den Leib los, der durch den ersten Adam an dich verkauft worden ist, ich vertilge deine Handschrift. Ich habe für Adams Schuld durch meinen Kreuzestod und meine Höllenfahrt genug getan. Und nun, Unterwelt, Finsternis und Tod, befehle ich dir: Gib heraus die gefangenen Adamsseelen“. So geben denn die bösen Mächte voll Schrecken den eingeschlossenen Adam11 wieder frei12.
1 Kor. 1, 23 f. ↩
Off. 1, 18. ↩
Ps. 7, 12 [hebr. Ps. 7, 12]; 2 Makk. 12, 6; 2 Tim. 4, 8. ↩
Joh. 12, 28. ↩
Matth. 17, 5; 3, 17; Luk. 9, 35; 2 Petr. 1, 17. ↩
Joh. 1, 29. ↩
Is. 53, 9; 1 Petr. 2, 22; vgl. 1 Joh. 3, 5. ↩
Joh. 14, 30. ↩
Mark. 3, 11. ↩
Matth. 8, 29. ↩
Hier wie in der ganzen Darstellung bedeutet Adam soviel wie das gesamte Menschengeschlecht. ↩
Dieselben Gedanken entwickelt Gregor von Nyssa (Orat. catech. 22 Migne, P. G. XLV 60 C). Vor ihm hat bereits, wie F. Diekamp (Die Gotteslehre des hl. Gregor von Nyssa, erster Teil, Münster 1896, S. 40 f.) bemerkt, solche Anschauungen Origenes vertreten und dessen Lehre weist in letztem Grunde auf valentinianische und basilidianische Quellen zurück. Vgl. auch Joh. Aufhauser, Die Heilslehre des hl. Gregor v. Nyssa, München 1910, S. 110 f. Stiglmayr (Theologie und Glaube III [1911] 279 f.) sodann weist auf die merkwürdige Übereinstimmung des „Makarius“ mit Kassianus in dieser Beziehung hin. Kassian (Coll. 23, 12 Migne, P. L. XLIX—L 1264) schreibt: „Infolge Adams Fehltritt sind wir sozusagen durch einen unseligen Handel und betrügerischen Schacher verkauft worden.“ Für den Genuß der verbotenen Frucht hat Adam seine und seiner Nachkommen Freiheit an den Teufel verkauft. Der Lösepreis sollte nach Gottes Absicht das Blut seines eigenen Sohnes sein. Den Gedanken von der Überlistung des Teufels durch den Erlösungstod Christi vertreten außer den genannten Vätern noch Augustinus, Leo, Gregor der Große, Johannes Damaszenus, Isidor von Sevilla, Petrus Lombardus (siehe Aufhauser a. a. O. S. 111). „Bei Makarius aber finden wir das Thema“, wie Stiglmayr (Sachliches und Sprachliches b. Mak. S. 30) ausführt, „zu einem grandiosen Dialog dramatisiert, zu einer vereinzelten Glanzpartie.“ „Es drängt sich die Vermutung auf, daß wir es hier mit der Anleihe aus einem geistlichen epischen Gedicht oder mit einem Mysterienspiel zu tun haben. . . Wenn von einem Mysterienspiel unter Kaiser Maurikios (591) berichtet wird, das Theophylaktos Simokattes als θεανδρικὸν μυστήριον [theandrikon mustērion] („gottmenschliches Geheimnis“) und als θεανδρικὴ πανδαισία [theandrikē pandaisia] („gottm. vollst. Gastmahl“) bezeichnet, wenn ein Drama ὁ θάνατος τοῦ Χριστοῦ [ho thanatos tou Christou] („der Tod Christi“) um 790 von Stephanos dem Sabbaiten existiert haben soll, wenn in der Hagia Sophia Mysterienspiele aufgeführt wurden, so dürfte die Annahme nicht zu gewagt erscheinen, daß auch der „descensus in infernum“ („Abstieg in die Unterwelt“) als ein Motiv solcher Spiele benutzt wurde und unsern Homilien seinen Tribut entrichten mußte.“ ↩
