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„Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor eine lebendige Seele nach ihrer Art, vierfüßige, Kriechtiere S. 123 und wilde Tiere nach ihrer Art. Und es geschah so1.” - Es kam der Befehl, ging seinen Weg, und die Erde kleidete sich in ihren Schmuck. Oben hieß es: „Es bringen die Wasser kriechende Tiere mit lebendigen Seelen hervor2.” Jetzt aber heißt es: „Die Erde bringe eine lebendige Seele hervor.” Ist denn die Erde beseelt, und haben die törichten Manichäer ein Recht, der Erde eine Seele zu geben? Nicht weil er sprach: „Sie bringe hervor”, brachte die Erde das in ihr Ruhende hervor, sondern e r, der den Befehl gab, verlieh ihr auch die Kraft, hervorzubringen. Auch als die Erde hörte, „sie sprosse das Grün des Grases und fruchtbare Bäume3”, war nicht sie es, die das in ihrem Schöße befindliche Gras hervorbrachte, nicht sie trieb die Palme, Eiche oder Zypresse aus der verborgenen Tiefe ihres Schoßes an die Oberfläche empor, sondern das göttliche Wort ist Schöpfer der Kreatur. „Die Erde sprosse" heißt nicht, sie soll hervorbringen, was sie hat, sondern sie soll empfangen, was sie nicht hat, indem ihr Gott die produktive Kraft verleiht. So auch hier: „Die Erde bringe eine Seele hervor”, nicht die in ihr liegende, sondern die ihr von Gott im Befehle gegebene. Zudem wird sich ihre Lehre ins Gegenteil kehren. Denn hat die Erde die Seele hervorgebracht, dann hat sie sich selbst seelenlos zurückgelassen. Doch die Abscheulichkeit ihrer Lehre liegt am Tage.
Warum aber mußte das Wasser kriechende Tiere mit lebendigen Seelen hervorbringen, die Erde aber eine lebende Seele? Wir schließen nun also: Die schwimmenden Tiere scheinen von Natur ein in etwa weniger vollkommenes Lebensprinzip zu haben, weil sie in dem dichten Wasser leben: Ihr Gehör ist schwer, stumpf ihr Blick, weil sie durch das Wasser sehen; sie haben kein Gedächtnis, keine Phantasie, pflegen keinen Verkehr (mit den Menschen). Damit scheint uns gewissermaßen angedeutet, daß bei den Wassertieren das sinnliche Leben die animalischen Regungen beherrscht, bei den Landtieren S. 124 aber, deren Leben ein vollkommeneres ist, der Seele die ganze Leitung übertragen ist. Denn bei den meisten Vierfüßlern sind die Sinne schärfer ausgebildet, ist die Auffassungsgabe eine bessere, die Erinnerung an die Vergangenheit eine treuere. Daher sind, wie es scheint, bei den Wassertieren beseelte Leiber geschaffen worden - denn die Kriechtiere mit lebendiger Seele sind aus den Wassern hervorgegangen -, bei den Landtieren aber mußte eine den Leib lenkende Seele entstehen, da die auf dem Lande lebenden Tiere am Lebensprinzip etwas innigeren Anteil haben. Vernunftlos sind ja freilich auch die Landtiere; aber gleichwohl bekundet doch jedes durch seinen Naturlaut mannigfache seelische Regungen: Freude und Trauer, Kenntnis von der Geselligkeit und Bedürfnis nach Nahrung, Absonderung von ihren Weidegenossen und unzählige Gemütsbewegungen lassen sie in der Stimme verlauten. Die Wassertiere aber sind nicht nur stumm, sondern auch unzähmbar und ungelehrig und jedem Verkehr mit den Menschen unzugänglich. „Der Ochs kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn4.” Der Fisch aber erkennt wohl kaum seinen Ernährer. Der Esel kennt die gewohnte Stimme, weiß den Weg, den er oft gegangen, und manchmal wird er gar Wegweiser dem Menschen, der fehlgeht. Das scharfe Gehör des Tieres soll nicht seinesgleichen haben unter den Landtieren. Welches Seetier könnte es dem Kamel gleichtun in Erinnerung an Mißhandlung, in Rachgier und langwierigem Zorne? Wenn nämlich das Kamel früher einmal geschlagen worden ist, so verbirgt es lange seinen Groll, vergilt aber die Mißhandlung, sobald sich Gelegenheit bietet. Hört, ihr Zornmütigen, die ihr das Nachtragen einer Beleidigung für Tugend wähnt, wem ihr ähnlich seid, wenn ihr den Groll auf den Nebenmenschen wie einen unter der Asche glimmenden Funken so lange verwahrt, bis ihr den Anlaß findet, gleichsam die Flamme des Zornes auflodern zu lassen.
