6.
Die Turteltaube, einmal von ihrem Gatten getrennt, soll keine andere Verbindung mehr eingehen, sondern unbegattet bleiben, indem sie in Erinnerung an den früheren Gatten die Verbindung mit einem andern verschmäht1. Aufhorchen mögen die Frauen, wie selbst bei den unvernünftigen Geschöpfen die Ehre des Witwenstandes dem Unziemlichen mehrmaliger Heirat vorgezogen wird! - Der Adler ist höchst ungerecht in der Aufziehung seiner Jungen. Zwei Junge brütet er aus; eines von ihnen stößt er mit Flügelschlägen von sich und wirft es auf die Erde hinab. Nur eines läßt er bei sich und nimmt es zu eigen an; weil ihm die Ernährung (beider) S. 133 zu viel Mühe kostet, macht er sich von einem los, das er erzeugt hat. Aber die Phene2 läßt, wie man sagt, dieses (verstoßene) Junge nicht umkommen, sondern nimmt es auf und zieht es mit ihren Jungen groß3. So handeln jene Eltern, die unter dem Vorwande der Armut ihre Kinder aussetzen, oder auch bei Verteilung des Erbes sehr ungleich ihre Kinder behandeln. Denn es ist nur gerecht, daß sie, wie sie einem jeden auf gleiche Weise das Dasein gegeben haben, so auch allen die zum Leben nötigen Mittel gleichmäßig und gleichwertig gewähren. Ahme nicht die Grausamkeit der krummkralligen Vögel nach, die ihre Jungen, kaum flügge geworden, aus dem Neste werfen, mit den Flügeln schlagen und verstoßen und sich nicht weiter mehr um sie kümmern! Lobenswert ist die Liebe der Krähe zu ihren Jungen; sie begleitet die Brut noch, wenn sie schon ausfliegt, speist und nährt sie sehr lange4.
Viele Vogelarten bedürfen zur Empfängnis nicht der Begattung durch das Männchen. Bei den anderen Arten sind die Windeier unfruchtbar. Die Geier sollen größtenteils ohne Begattung legen5, und zwar noch in sehr hohem Alter; denn sie werden gewöhnlich bis zu hundert Jahre alt. - Dies sollst du mir aus der Geschichte der Vogelwelt recht wohl merken, damit du für den Fall, daß einige unser Geheimnis von der Geburt aus der Jungfrau ohne leichteste Verletzung deren Jungfrauschaft als etwas Unmögliches und Widernatürliches verspotten, dich erinnerst, daß Gott, dem es gefallen hat, durch die Torheit des Evangeliums die Gläubigen selig zu machen6, schon in der Natur tausendfachen Anlaß gab, an die Wunder zu glauben.
