5.
Wie könnte ich dir alle die Eigenheiten der Vögel in ihrer Lebensweise genau aufzählen? Wie die Kraniche bei Nacht abwechselnd Wachen aufstellen; während die einen schlafen, umkreisen sie die andern und gewähren ihnen während des Schlafes volle Sicherheit. Ist die Zeit der Wache vorüber, so schreit der Wächter und legt sich zum Schlafen; ein anderer übernimmt den Posten und gewährt ihm seinerseits dieselbe Sicherheit, die ihm zuteil geworden1. Eine gleiche Ordnung beobachtet man bei ihrem Fluge. Da übernimmt einer die Führung, und wenn er eine bestimmte Zeit lang den Zug geführt hat, zieht er sich zurück und übergibt die Führung dem, der hinter ihm kommt. - Der Störche Verhalten verrät fast vernünftige Überlegung: Wie sie alle um dieselbe Zeit in unsere Gegenden kommen, so ziehen sie auch alle wie auf ein verabredetes Zeichen wieder fort. Unsere Krähen aber geben ihnen wie Trabanten das Geleite und leisten ihnen, wie mir scheinen will, eine gewisse Hilfe im Kampfe gegen die feindlichen Vögel. Anzeichen dafür ist mir erstens, daß um diese Zeit herum nirgends eine Krähe zu sehen ist, sodann, daß sie Wunden zurückbringen als sichere Merkmale des S. 131 Schutz- und Trutzbündnisses. Wer hat ihnen die Gesetze solcher Gastfreundschaft gegeben? Wer hat ihnen für ein Desertieren eine Strafe angedroht, so daß keine vom Geleite zurückbleibt? - Das mögen die sich gesagt sein lassen, die hart gegen Fremde sind, ihnen die Türen verschließen, ihnen selbst im Winter und bei Nacht kein Obdach geben. Und die Fürsorge der Störche für ihre Alten sollte unseren Kindern, wenn sie darauf achten wollten, genug Ansporn sein, ihre Kindesliebe zu bezeugen. Es ist doch jedenfalls kein Mensch so unvernünftig, daß er es nicht beschämend fände, an Tugend den unvernünftigsten Vögeln nachzustehen. Die Störche umstellen nämlich im Kreise den Vater, wenn ihm im Alter die Federn ausfallen, wärmen ihn mit ihren Flügeln und besorgen ihm reichlich Futter, und sogar beim Fluge geben sie ihm alle mögliche Hilfe, indem sie ihn auf beiden Seiten mit den Flügeln sanft emporheben. Das ist so allgemein bekannt, daß man bereits die Wiedervergeltung von Wohltaten als „Storchendank2” bezeichnet.
Niemand klage über Armut, noch verzweifle er an seinem Leben, wenn er auch zu Hause keinen Vorrat hat, sondern er schaue auf die Geschicklichkeit der Schwalbe. Wenn sie nämlich ihr Nest baut, trägt sie mit dem Schnabel dünnes Reisig zusammen. Weil sie aber mit den Füßen den Kot nicht aufheben kann, benetzt sie die Spitzen ihrer Flügel mit Wasser, taucht sie dann in feinsten Staub und weiß so den Kot nutzbar zu machen, indem sie damit wie mit Leim das dünne Reisig allmählich verbindet3. In diesem Neste zieht sie nun ihre Jungen groß. Verletzt sich eines am Auge, so hat sie ein natürliches Heilmittel, womit sie das Gesicht der Jungen wieder gesund macht4. Dies soll dich mahnen, nicht aus Armut dem Laster dich zu ergeben, noch in den drückendsten Heimsuchungen alle Hoffnung zu S. 132 verlieren und untätig und energielos hinzuliegen, sondern zu Gott deine Zuflucht zu nehmen, der, wenn er die Schwalbe mit solchen Wohltaten überhäuft, noch weit größere Gaben denen verleihen wird, die ihn von ganzem Herzen anrufen.
Der Eisvogel ist ein Seevogel. Er pflegt unmittelbar an den Gestaden zu brüten und legt seine Eier in den Sand. Er brütet etwa mitten im Winter5, wenn das Meer von vielen heftigen Winden gegen das Land getrieben wird. Doch schweigen alle Winde und ruht die Meereswoge während der sieben Tage, die der Eisvogel über den Eiern sitzt. Denn in soviel Tagen brütet er die Jungen aus. Weil sie aber auch Futter brauchen, so hat der gütigste Gott den winzigen Tierchen noch weitere sieben Tage zur Aufziehung der Jungen gegeben. Das wissen die Seeleute allgemein und nennen daher diese Tage die Halkyonischen („Eisvogelbruttage”)6. Diese Vorsehung Gottes für die unvernünftige Kreatur soll dich ermahnen, von Gott zu erbitten, was zu deinem Heile dient. Welches Wunder sollte nicht geschehen deinetwegen, der du ja nach Gottes Ebenbild erschaffen bist, wenn er sogar einem winzigen Vogel zuliebe das gewaltige, schreckliche Meer bändigt und ihm gebietet, mitten im Winter sich ruhig zu verhalten?
vgl. Arist., hist. anim. IX,10 ↩
ἀντιπελάϱγωσις (von πελαϱγός = Storch). Vgl. Arist. hist. anim. IX,13; Aelian, de nat. anim. III,23; X,16; Plinius, hist. nat. X,32 ↩
Arist., hist. anim. IX,7; Plin. 1. c. X,49 ↩
vgl. Arist., de gen. anim. IV,16 und Plinius 1. c. VIII,41; Aelian, 1. c. III,25 ↩
in Wirklichkeit im Frühlinge ↩
vgl. Arist., hist. anim. V,8; Plinius, 1. c. X,47; Aelian, 1. c. I,36 ↩
