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„Es bringe die Erde hervor eine lebendige Seele.” Warum bringt die Erde eine lebendige Seele hervor? S. 125 Damit du den Unterschied zwischen einer Tierseele und einer Menschenseele kennen lernest. Etwas später sollst du erfahren, wie die Seele des Menschen beschaffen ist; jetzt aber höre etwas über die Seele der Tiere! Da nach der Schrift eines jeden Tieres Seele sein Blut ist1, das Blut aber sich verdichtet und in Fleisch verwandelt, das Fleisch aber verwest und in Erde sich auflöst, so ist die Tierseele natürlich erdhaft. „Die Erde bringe eine lebendige Seele hervor.” Sieh auf die Verwandtschaft der Seele mit dem Blute, des Blutes mit dem Fleische, des Fleisches mit der Erde, und geh umgekehrt wieder denselben Weg zurück von der Erde zum Fleische, vom Fleische zum Blute, vom Blute zur Seele, so findest du, daß die Tierseele Erde ist. Glaub nicht, sie sei älter als ihre Leibessubstanz, oder sie werde nach der Auflösung des Fleisches fortbestehen! Kehr dich ab von dem Geschwätz der anmaßenden Philosophen, die sich nicht schämen, ihre Seelen mit den Seelen der Hunde auf eine Linie zu stellen, und behaupten, sie seien selbst einmal Frauen, Gesträuche und Seefische gewesen. Ob sie nun je einmal Fische gewesen, will ich nicht entscheiden, aber daß sie in dem Augenblicke, da sie das niederschrieben, unvernünftiger als die Fische waren, das möchte ich steif und fest behaupten. „Die Erde bringe hervor eine lebendige Seele.”
Vielleicht wundern sich sehr viele, weshalb ich mitten im Laufe der Rede ziemlich lange geschwiegen habe; doch werden die besonders aufmerksamen Zuhörer den Grund für mein Schweigen wohl wissen. Wieso? Durch ihr gegenseitiges Anschauen und Winken haben sie mich aufmerksam gemacht und mich an das erinnert, was ich übergangen hatte. Eine ganze Gattung in der Kreatur, und zwar nicht die unbedeutendste, ist uns entgangen, und nur wenig fehlte, so hätte unser Vortrag sie überhaupt nicht berührt. Denn „die Wasser bringen hervor kriechende Tiere mit lebendiger Seele nach ihrer Art und geflügelte Tiere, die über der Erde am Firmamente des Himmels dahinfliegen.” Gesprochen haben wir wohl von den schwimmenden Tieren, soweit S. 126 es die gestrige Abendstunde erlaubte; heute sind wir zur Schilderung der Landtiere übergegangen. Es entging uns also das Geflügel in der Mitte. Wie vergeßliche Wanderer, die etwas Wichtiges zurückgelassen haben und, obschon eine gute Strecke Weges weitergegangen, diese noch einmal machen und als verdiente Strafe für ihre Vergeßlichkeit die Beschwerden des Weges auf sich nehmen, so müssen also auch wir, wie billig, denselben Weg noch einmal machen. Was wir nämlich übergangen haben, ist auch nicht etwas Nebensächliches, sondern etwa ein Drittel der Tierwelt. Es gibt ja drei Tiergattungen: Landtiere, Vögel und Wassertiere. „Die Wasser”, heißt es, „bringen hervor kriechende Tiere mit lebendiger Seele nach ihrer Art, und geflügelte Tiere, die über der Erde an der Feste des Himmels dahinfliegen, nach ihrer Art.” Warum ließ er auch die geflügelten Tiere aus den Wassern entstehen? Weil eine gewisse Verwandtschaft besteht zwischen dem Gefieder und den Fischen. Wie nämlich die Fische das Wasser durchschneiden, mit den Flossen sich vorwärts bewegen, mit der Wendung des Schwanzes sich sowohl die Seitwärtsbewegungen geben wie die Richtung geradeaus, so sieht man auch das Geflügel mit seinen Schwingen in ähnlicher Weise die Luft durchschwimmen. Weil also beide Gattungen das Schwimmen als ihre gemeinsame Eigenart haben, ward zwischen ihnen gewissermaßen die Verwandtschaft infolge ihrer (gemeinsamen) Entstehung aus dem Wasser hergestellt. Nur daß kein Vogel ohne Füße ist, weil sie alle von der Erde ihre Nahrung erhalten, und darum alle den Dienst der Füße benötigen. Die Raubvögel haben zum Fange ihrer Beute ihre scharfen Klauen; den andern Vögeln ward zur Beschaffung ihres Futters und zu ihrer sonstigen Lebenserhaltung der Dienst ihrer Füße gegeben. Wenige Vögel sind schlecht auf den Füßen, die weder zum Gehen noch zum Jagen taugen; so können die Schwalben nicht gehen noch jagen, besonders die sogenannten Mauerschwalben, denen ihre Nahrung aus dem, was in der Luft herumschwirrt, zugedacht ist. Übrigens ersetzt bei der Schwalbe der nahe Flug an der Erde den Dienst der Füße.
Lev 17,11 ↩
