6.
Weil wir nun Solches wlssen, so wollen wir uns allenthalben mit Tugend umschanzen und so den Zorn Gottes abwenden und die Glieder des Leibes zu Waffen der Gerechtigkeit machen, und Augen und Mund, und Hände und Füße, und Herz und Zunge und den ganzen Leib unterweisen, damit sie der Tugend allein förderlich seien. Und lasset uns jener drei Stücke gedenken, von denen ich zu eurer Liebe geredet und euch ermahnt habe: keinen Feind zu besitzen, noch Übles zu reden von Solchen, die euch betrübt haben, und die arge Gewohnheit des Schwörens von eurem Munde zu bannen. Von den beiden ersten Geboten werden wir zu einer andern Zeit handeln; die ganze gegenwärtige Woche aber wollen wir über das Schwören zu euch sprechen, indem wir mit dem leichtern Gebote beginnen. Denn ohne besondere Mühe können wir die Gewohnheit des Schwörens S. 114 bemeistern, wenn wir dabei nur ein wenig Fleiß anwenden wollen, indem wir einander erinnern, Winke geben, bewachen, die Vergeßlichen zur Strafe und Rechenschaft fordern; denn was nützt uns wohl die Enthaltung von Speisen, wenn wir nicht die bösen Gewohnheiten aus der Seele verjagen? Siehe, wir haben heute den ganzen Tag ohne Speise vollbracht, und auch am Abend wird der Tisch, den wir vorsetzen, nicht gleich dem gestrigen Tische, sondern verändert und ehrwürdiger sein. Aber kann Einer von uns sagen, daß er heute auch sein Leben geändert habe, wie den Tisch?daß er auch die üble Gewohnheit, gleich der Nahrung, vertauscht habe? Ich glaube nicht. Was nützt uns also dasFasten? Deßhalb ermähne ich euch und will nicht aufhören, euch zu ermahnen, daß ihr jedes Gebot insbesondere vornehmt und zwei, auch drei Tage auf die Ausübung desselben verwendet. Und gleichwie es Einige gibt, die in der Enthaltung von den Speisen mit einander wetteifern und einen bewunderungswürdigen Wettstreit eingehen, da Einige zwei ganze Tage ungespeist zubringen, Andere nicht nur den Gebrauch des Weins und des Öls, sondern den Gebrauch jeglicher Speise von ihrem Tische verbannen und im alleinigen Genusse von Wasser und Brod die ganze vierzigtägige Fastenzeit zubringen: so laßt doch auch uns mit einander dahin wetteifern, daß es aufhöre, Schwüre zu schneien, — denn das ist nützlicher als alles Fasten, ist gewinnreicher als alle leibliche Entbehrung, — und den Eifer, den wir auf die Enthaltung von den Speisen verwenden, den laßt uns in der Enthaltung von Schwüren beweisen, weil wir uns selber der Anklage der äußersten Thorheit aussetzen würden, wenn wir auf das Verbotene nicht achteten, in Bezug auf das Gleichgiltige aber unsern ganzen Eifer in Bewegung setzten. Denn das Essen ist nicht verboten, aber das Schwören ist verboten; wir aber enthalten uns des Erlaubten und wagen das Untersagte. Deßwegen ermahne ich eure Liebe, es darin doch zu einer Änderung kommen zulassen und mit dem Schwören den sichtbaren Anfang zu machen. Denn wenn wir die gegenwärtige Fastenzeit in so S. 115 anhaltendem Fleisse verleben, daß wir es in dieser Woche dahin bringen, gar nicht zu schwören, daß wir in der nächsten allen Zorn auslöschen, in der darauf folgenden Afterrednerei mit der Wurzel ausrotten, und in der Woche darauf wieder mehrere andere Fehler verbessern und so auf dem Wege weiter vorrücken: so werden wir in Kürze zum Gipfel der Tugend selber gelangen und der gegenwärtigen Gefahr entfliehen und uns Gott zum Freunde machen; und die Volksmenge wird uns wieder zur Stadt zurückkehren; und dann wollen wir die jetzt Entflohenen belehren, nicht der Sicherheit des Ortes, noch der Flucht und Entweichung, sondern dem Wohlverhalten der Seele und der Tugend der Sitten die Hoffnung unseres Heiles anzuvertrauen; und so werden wir zum Besitze der hiesigen wie der dortigen Güter gelangen, deren wir alle gewürdigt werden mögen durch die Gnade und Menschenfreundlichkeit unseres Herrn Jesu Christi, durch welchen und mit welchem dem Vater sammt dem heiligen Geiste sei Ehre jetzt und immer und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
